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Hex

Titel: Hex
Autoren: Kai Meyer
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Wink.
    Die Soldaten zogen ihre Messer und schnitten den Kindern die Kehlen durch.
    Der Priester schrie auf. Er sprang aus seinem Versteck, stürmte vorwärts, auf die Leichen der Kinder zu, die jetzt reglos am Boden lagen. Ein Dutzend Köpfe ruckte herum.
    Das Erstaunen auf den Zügen des Bischofs wandelte sich in Bedauern. Ein Wink zum Hauptmann, ein gebrüllter Befehl.
    Und während der Priester neben den Kindern ins rußige Gras sank, holte einer der Soldaten mit dem Stiefel aus und trat ihm mit aller Kraft in den Magen. Eine Klinge wurde blankgezogen, Feuerschein blitzte auf Stahl. Dann bohrte sich das Schwert in den Leib des Priesters.
     
    Finsternis und knirschende Räder. Pferdegewieher, so laut, daß er glaubte, ihm berste der Schädel. Handschuhe, die ihn packten, ihn und andere Dinge. Holz unter ihm, und wieder Räder und Pferde. Erschütterungen. Schlaf und erneutes Erwachen, wieder Hände. Er wurde getragen, über Treppen, tief hinab ins Herz der Erde. Achtlos warf man ihn auf harten Stein. Nur sein Kopf landete weich. Einen Augenblick später wußte er, weshalb; unter seiner Wange lag ein Leichnam, sehr klein. Ein Kind.
    Der Priester wußte nicht, weshalb das Schwert ihn geschont hatte, ob aus Unachtsamkeit oder Absicht, aber er lebte. Er konnte sich nicht bewegen, konnte kaum die Augen öffnen, und die Wunde in seiner Seite tat schlimmer weh als jeder andere Schmerz, der ihm je widerfahren war. Er lebte, aber er wußte auch, daß er bald sterben würde. Sehr bald.
    Von irgendwoher schien Licht auf sein Gesicht. Männer stöhnten unter schwerer Anstrengung. Stein schleifte über Stein. Der Lichtschein bündelte sich, seine Quelle wurde kleiner, immer kleiner.
    Sie mauerten ihn ein, bei lebendigem Leibe. Der Priester konnte sehen, wie die letzten Steine in die Wand geschoben wurden. Noch einer, der allerletzte, dann herrschte neuerliche Finsternis. Diesmal nicht in seinem Kopf, sondern um ihn herum. Aber die Erkenntnis bereitete ihm keine Angst. Was war schon die irdische Dunkelheit gegen jene des Todes, die ihm bevorstand?
    Er weinte, aber er tat es um der beiden Kinder willen, nicht um sich selbst. Er tastete in die Dunkelheit und fand weitere Körper, alle noch warm. Waren das – lieber Himmel, ja, das waren Uniformen! Die Toten, die man mit ihm eingemauert hatte, waren Landsknechte. Unliebsame Zeugen der Geschehnisse wie er selbst.
    Der Priester verstand nichts von alledem, aber er gab sich auch keine Mühe, die Zusammenhänge zu durchschauen. Die Ereignisse sprachen für sich. Der Bischof hatte ihn und die Kinder, sogar seine Soldaten, kaltblütig ermorden lassen. Fraglos, weil sie jener Stelle zu nahe gekommen waren, wo der Herr die Erde berührt hatte. Vielleicht auch, weil sie zuviel gesehen hatten. Das galt auf jeden Fall für die Soldaten. Aber tötete man seine eigenen Männer, nur weil sie das Versteck einiger Leichen kannten?
    Und da begriff er. Die Landsknechte hatten nicht nur gewußt, wohin man die Leichen brachte. Etwas anderes befand sich mit ihm und den Toten in dieser Gruft. Etwas, das vom Himmel gefallen war.
    Die Erkenntnis gab dem Priester neue Kraft. Es war hier, irgendwo in der Finsternis! Wie hätte er da noch Angst haben oder zaudern können, jetzt, da er wußte, daß er Gott so nahe war wie niemals zuvor?
    Mühsam kletterte er auf allen vieren über die Leichen hinweg. Es waren Dutzende, ein ganzer Berg von reglosen Körpern mit abgewinkelten Gliedern. Keine Laute waren zu hören, außer jenen, die der Priester selbst verursachte. Er war allein – allein mit Gott. Und glücklich.
    Er erreichte den Fuß des Leichenberges und schob sich weiter über kalten Stein. In einigen Schritten Entfernung bemerkte er ein sanftes Glimmen. Ebensogut mochte es ein Streich seiner Sinne sein, wie die Muster, die man sah, wenn man zu lange in die Sonne blickte. Aber tief im Herzen wußte er, daß da wirklich ein Licht war.
    Seine Finger stießen gegen etwas Hartes. Es fühlte sich an wie die Scherben eines riesigen Tonkruges, nur daß diese hier aus kaltem Eisen waren oder aus Stahl oder Messing. Die Berührung ließ ihn erschauern, und er zog die Finger blitzschnell zurück. Er war nicht würdig, Gottes Werk zu betasten. Denn Tasten hieß Neugier, hieß Zweifel. Und Zweifel war Sünde.
    Da! Das Licht wurde heller. Jetzt war es eindeutig ein weißer Schimmer, der spärlich aus den Trümmern fiel. Er fragte sich, wie groß das Ding war, das sich vor ihm befand.
    Die Soldaten konnten Menschen
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