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Herz aus Glas (German Edition)

Herz aus Glas (German Edition)

Titel: Herz aus Glas (German Edition)
Autoren: Kathrin Lange
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seinem Gesicht. Die Maske des freundlichen, besorgten, spöttischen Henry fiel herunter und brachte eine ganz andere Person zum Vorschein. Eine, die erfüllt war von Hass und Zorn – und Irrsinn.
    »Du …«, hauchte ich. Zu mehr kam ich nicht. Ich wollte schreien, wollte die ganze Welt darauf aufmerksam machen, was ich soeben begriffen hatte, aber ich brachte keinen einzigen Ton heraus, denn Henry riss mich jetzt an sich und bedeckte meinen Mund mit seiner riesigen, warmen Hand.
    Ich wehrte mich, trat um mich, biss, kratzte, aber es nützte alles nichts. Er war viel zu stark für mich. Er nahm mich wie ein Bündel unter den Arm und trug mich nach draußen, als sei überhaupt nichts dabei. Mit langen Schritten überquerte er den Parkplatz vor dem Haus und dann – mein Herz setzte aus bei dieser Erkenntnis – schlug er den Weg zu den Klippen ein.
    Nach ein paar Hundert Metern stellte er mich auf die Füße, aber seine Faust lag dabei fest um mein Handgelenk, sodass ich nicht entkommen konnte. Ich schrie, so laut ich konnte, um Hilfe, aber es nützte nichts. Der Wind war jetzt wieder stärker und er trug meine Schreie aufs Meer hinaus. Niemand hörte mich. Und niemand sah mit an, wie Henry mich wie ein Stück Vieh hinter sich her zu den Klippen zerrte.
    Ich fragte ihn nicht, was er vorhatte. Ich wusste es. Er würde mich von den Klippen stürzen. Und dann würde er zu David gehen und ihm erzählen, er hätte mich davon abhalten wollen, sei aber erfolglos gewesen. Er würde ihn umarmen, ihn trösten in seiner Trauer darüber, mich am Ende doch noch verloren zu haben. Und er würde weiterhin so tun, als sei er Davids bester Freund, und sich dabei an Davids Leid weiden.
    All das sah ich in Henrys Gesicht, während er mich durch die Finsternis und den Regen zu den Klippen schleifte. Was ich nicht sah, war die Antwort auf eine einzige Frage.
    Warum?
    Warum hasste er David so sehr, dass er ihm all diesen Schmerz zufügen wollte?
    Ich stemmte mich mit meinem ganzen Gewicht in den aufgeweichten Boden, aber ich wurde einfach weitergezerrt, sodass sich meine Absätze tief in den Schlamm gruben. Dann jedoch stießen meine Füße gegen eine Wurzel, die quer über den Weg verlief. Für einen kurzen Moment hatte ich Halt und es gelang mir, Henry zum Stehenbleiben zu bewegen.
    »Warum?«, keuchte ich.
    Er lachte nur.
    Ich ruckte an seinem Arm. »Rede mit mir! Du hast die Lautsprecher angebracht, nicht Taylor, stimmt es? Du wolltest David in den Tod treiben, nicht sie!«
    Er nickte. Sein Blick war ein wenig träge, so als habe er den Verstand verloren. Etwas Irres saß hinten in seinen Augen und machte mich fast wahnsinnig vor Angst. Trotzdem redete ich weiter. »Hast du ihn auch vergiftet, so wie mich?«
    »Es war einfach«, sagte er dumpf. »Jason hat mich geradezu angefleht, zu den Mahlzeiten zu euch zu kommen. Ich konnte ihm ohne Probleme immer mal wieder White Rage ins Essen mischen.« Er zog an meinem Arm, aber ich wehrte mich.
    Ich muss ihn in ein Gespräch verwickeln!, dachte ich und hakte meinen Fuß fester in die Wurzel. Solange er redete, würde er mich nicht weiter zur Klippe ziehen. Fieberhaft überlegte ich, was ich sagen sollte, aber bevor mir etwas einfiel, zog Henry mich mit einem Ruck an sich und legte einen Arm um mich. Ich fühlte mich wie in einer Schraubzwinge, bekam kaum noch Luft. Sein Mund näherte sich meinem Ohr und er flüsterte, als er jetzt weitersprach. »Es war genau, wie ich gesagt habe, als Taylor auf der Klippe stand. Erst hatte ich vor, David über die Kante zu treiben, aber als du kamst und er sich Hals über Kopf in dich verliebte, da fiel mir ein, dass es viel wirkungsvoller wäre, wenn du springen würdest.«
    »Darum hast du angefangen, auch mir White Rage zu verabreichen. Wie hast du das gemacht? Nicht mit der Milch jedenfalls.« Ich musste jedes einzelne Wort gegen den Widerstand seines Armes hervorquetschen, aber zu meiner Verwunderung war ich mit einem Mal völlig ruhig und konzentriert. Vielleicht ist es so, dass der Verstand nur ein bestimmtes Maß an Entsetzen ertragen kann. Ist das überschritten, verhält er sich wieder, als sei alles normal. Genauso war es jetzt zumindest bei mir. Auf einmal wurde ich geradezu kaltblütig.
    »Nein. Die Milch kam mir nur gelegen, weil das Kalzium darin die Wirkung der Droge noch verstärkt hat. Und natürlich hat die Milch geholfen, den Verdacht auf Taylor zu lenken.«
    »Wie dann?«, wollte ich wissen.
    »Rate mal!«
    Ich dachte an den Rumcocktail,
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