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Heimaturlaub

Heimaturlaub

Titel: Heimaturlaub
Autoren: Heinz G. Konsalik
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diese Maschine unweit unserer Stellung in einem verlassenen Unterstand nebst einem Kasten mit Papier und Ersatzfarbbändern. Glück muß ein Kriegsberichter haben: Nun besitze ich ein Mikrofon, eine Leica und eine Schreibmaschine – eine Ausrüstung, wie sie für meinen Beruf nicht besser sein kann. Und ich fühle mich auch ganz wohl und würde singen, wenn die Umgebung nicht ganz so trostlos wäre.
    Ein roh gezimmerter Tisch steht hier, von den Lehmwänden tropft Schmelzwasser, die Decke ist mit Balken verschalt und abgestützt. Draußen rumpelt die Artillerie der Amerikaner, denn St. Vith ist seit vier Tagen in der Hand des Gegners, der nun in unserem Abschnitt mit allen Mitteln einen Durchbruch versuchen will. Er rückt mit seinen Panzern in Stoßkeilen gegen unsere Stellung vor und schont kein Material.
    Mein Kamerad Wilhelm von Stohr sitzt neben mir und schreibt an seine Frau. Was er schreibt, weiß ich nicht, aber es wird immer dasselbe sein, wenn Menschen Abschied nehmen … Man hält besinnliche Rückschau auf sein Leben. Ich selbst kann kaum noch sehen, denn der Kerzenstumpf ist bald niedergebrannt, dauernd vertippe ich mich, weil die Erde dröhnt und schwankt von den Einschlägen der Granaten.
    Wenn ich bedenke, was alles hinter mir liegt, mit welcher Hoffnung und welchem Glauben alles begonnen hat, und zu welcher Dumpfheit und Trostlosigkeit es sich wandelte. Deutschlands Jugend liegt unter dem Büschelgras russischer Steppen, verscharrt im glühenden Sand tripolitanischer Wüsten oder in den Tundren des Eismeeres und der karelischen Wälder. Wo ist der Glaube geblieben, wo die Tat nach all den großen Worten? Wo war jetzt die Gnade des Schicksals, die Deutschland unter einem Hitler zum Licht der Welt machen sollte? Ich muß fast lachen, denke ich an den Wahnsinn unserer Propaganda, und ich schäme mich, jemals diesen Wahnsinn unterstützt und mitgemacht zu haben. Ich stehe hier auf verlorenem Posten und will alles sühnen, was ich einmal an meinem Vaterland im Dienste dieser verblendeten Idee gesündigt habe … und sterbe ich hier einen einsamen Tod, so soll die Welt durch diese Blätter wissen, daß wir erwacht sind, wir alle, die einst an dieses Regime glaubten; daß wir heute die Wahrheit sehen und aus den Gräbern die Faust mahnend erheben … heute, wo es zu spät ist, wo der Zusammenbruch vor uns liegt.
    Momentan brüllt die Front auf. Der Amerikaner schießt mit schweren Sachen. Es sind 35-cm-Granaten, die Trichter reißen so groß wie ein Hausfundament. In dieses Inferno muß ich in einer Stunde wieder hinaus. Nur für eine Stunde ging ich einige Kilometer nach hinten, um einmal aufzuatmen. Aber die Front ruft und lockt … ich muß wieder hinaus, zu ihnen, die jetzt im Feuer sich ducken … zu meinen Kameraden.
    Wenn ich gleich im Graben liege, inmitten der Panzerangriffe, so werde ich tief aufatmen und daran denken, daß auch die schlimmste Angst einmal dem Mut der Verzweiflung weichen muß. Denn wer leugnet es, daß wir Angst haben? Alle haben Angst … der Schauspieler nennt es Lampenfieber, der Feldherr Besinnung, der Landser ›macht sich einen Fleck ins Hemd‹ … alles ist Angst … Angst!
    Wie die Zeit vergeht. Jetzt nur noch eine halbe Stunde, und wir sehen wieder dem Tod in die erbarmungslosen Augen.
    Der Stummel der Kerze ist ausgebrannt. Wir haben eine neue angezündet; die letzte, die Stohr in seinem Sturmgepäck verstaut hatte. Wir müssen uns jetzt fertig machen … losreißen von allem, was unsere Gedanken umschließt … So lebt denn wohl, alle, die ich liebte und denen mein Herz zuschlägt.
    Dienstag, den 30. Januar
    Ich liege im Graben, und um mich herum schlagen die Granaten ein. Ich kann nicht weiter schreiben … es ist alles ein Staub. Schnee, Eis und Fleischfetzen unbegrabener Toter, die jetzt von neuem zerrissen werden, wirbeln durch die Luft. Die Sicht wird einem genommen, und dann die Kälte dazu! Die Pistole friert fast an der Hand fest … Jetzt ertönt schon wieder Panzeralarm. Ich höre auf …
    4 Stunden später.
    Ein Panzerangriff ist abgewiesen, das heißt, wir haben nicht geschossen, sondern sind den Kolossen ausgewichen. So rollten sie in der Gegend umher, suchten uns und fanden nur ein leeres MG-Loch. Wäre Infanterie hinterhergekommen, wäre alles verloren gewesen. So aber kehrten die Panzer um und verschwanden mit klirrenden Ketten hinter einer Bodenmulde.
    Von diesem Angriff habe ich eine Tonaufnahme gemacht. Ich lag mit meinem Mikrofon geschützt in
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