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Hafen der Träume: Roman (German Edition)

Hafen der Träume: Roman (German Edition)

Titel: Hafen der Träume: Roman (German Edition)
Autoren: Nora Roberts
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Wirkungen gehören nicht zu meinem eigentlichen Forschungsgebiet. Ich beschäftige mich mit menschlichen Verhaltensweisen, die einerseits erlernt sind, andererseits aber auch durch Instinkte gesteuert werden. Sehr oft ist kein emotionaler Auslöser für Verhalten erkennbar. Verhalten ist viel primitiver und in gewisser Weise archaischer als Gefühl.
    Ich habe Angst.
    Ich befinde mich allein in meinem Hotelzimmer, eine erwachsene Frau, gebildet, intelligent, vernünftig und kompetent. Trotzdem habe ich Angst, den Telefonhörer abzuheben und meine Mutter anzurufen.
    Vor wenigen Tagen hätte ich nicht von Furcht gesprochen, sondern vielleicht Widerstand oder Vermeidungsverhalten diagnostiziert, zu dem mich meine Gefühle gegenüber Seth bewogen haben. Und ich hätte argumentiert, mit wohlgesetzten Worten, dass die Kontaktaufnahme mit meiner Mutter nur Unruhe in die Angelegenheit bringen und zu keinem konstruktiven Ergebnis führen würde. Deswegen wäre es sinnlos, meine Mutter anzurufen.
    Noch vor wenigen Tagen hätte ich die Rationalisierung vorgenommen, meine Empfindungen für Seth seien nur moralischer Verpflichtung und familiären Bindungen entsprungen.
    Es ist ebenfalls nur wenige Tage her, als ich noch erfolgreich meinen Neid auf die Quinns mit ihrem lautstarken, undisziplinierten und chaotischen Beziehungsstil leugnen konnte. Ich hätte anerkannt, dass ihr Verhalten und ihr unorthodoxer
Umgang miteinander von wissenschaftlichem Interesse ist, mir aber niemals meine Sehnsucht eingestanden, selbst ein Teil dieses Beziehungsgefüges zu werden.
    Natürlich kann ich nicht dazugehören. Das akzeptiere ich.
    Noch vor wenigen Tagen habe ich zu widerlegen versucht, wie tief und wesentlich meine Gefühle für Phillip sind. Liebe, sagte ich mir, entsteht nicht so plötzlich und intensiv. Es handelt sich um Anziehung, Sehnsucht, sogar sexuelle Begierde, aber nicht um Liebe. Es ist leichter, den Gegenbeweis anzutreten, als sich einer Wahrheit zu stellen. Ich habe Angst vor der Liebe, vor dem, was Liebe bedeutet, was sie fordert und was sie nimmt. Und noch viel mehr Angst habe ich vor der Möglichkeit, dass meine Liebe nicht erwidert wird.
    Aber auch das kann ich akzeptieren. Ich verstehe vollkommen, welche Grenzen meiner Beziehung zu Phillip gesetzt sind. Wir sind beide erwachsen und haben unsere eigenen Muster entwickelt. Er hat seine Bedürfnisse und ich die meinen. Ich kann dankbar sein, dass unsere Pfade sich gekreuzt haben. In der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft habe ich viel gelernt. Vor allem über mich selbst.
    Ich glaube nicht, dass ich noch der gleiche Mensch wie vorher bin.
    Das will ich auch nicht. Aber um sich wirklich zu ändern, um ernsthaft zu wachsen, sind Taten notwendig.
    Es hilft, alle diese Gedanken aufzuschreiben, auch wenn sie völlig ungeordnet und spontan sind.
    Eben kam ein Anruf von Phillip aus Baltimore. Ich fand, er klang müde, aber auch euphorisch. Er hatte eine Besprechung mit seinem Anwalt. Seit Monaten weigert sich die Lebensversicherung seines Vaters, den Vertrag zu erfüllen und die vereinbarte Versicherungssumme auszuzahlen. Die Versicherung äußerte den Verdacht auf Suizid und stellte eigene Nachforschungen zum Tod von Professor Quinn an. Die Haltung der Versicherung brachte die Quinns in finanzielle Bedrängnis, denn sie hatten Seth zu versorgen, und das neue Unternehmen brauchte Kapital. Doch die Quinns sind vor
Gericht gegangen und haben sich hartnäckig gegen die Behauptungen gewehrt.
    Ich glaube, bis heute war mir nicht klar, wie wichtig es für die Quinns ist, diesen Rechtsstreit zu gewinnen. Nicht wegen des Geldes, wie ich ursprünglich annahm, sondern weil sie das Andenken ihres Vaters von jedem Schatten eines Verdachts befreien wollen. Ich glaube nicht, dass Selbstmord immer ein Akt der Feigheit ist. Ich habe selbst einmal mit diesem Gedanken gespielt. Aber damals war ich sechzehn und noch ziemlich dumm. Den Abschiedsbrief habe ich natürlich zerrissen, die Tabletten in den Müll geworfen, und damit war die Angelegenheit erledigt.
    Selbstmord, das wäre unhöflich und grob gewesen. Ich hätte meiner Familie nur Unannehmlichkeiten bereitet.
    Das klingt sehr verbittert, nicht wahr? Ich hätte nicht gedacht, dass so viel Zorn in mir schlummert.
    Aber wie ich erfuhr, ist Selbstmord für die Quinns ein Zeichen für persönliche Feigheit und Egoismus. Sie wollten nie glauben – und haben auch anderen nicht zu glauben erlaubt  –, dass der Mann, den sie lieben, zu solch einer
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