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Gemischte Gefühle

Gemischte Gefühle

Titel: Gemischte Gefühle
Autoren: Ronald M. Hahn
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sündteueren 8-Spur-Nakamichi mit High Com Rauschunterdrückung. Das Beste vom B e sten, damit der Sound stimmte.
    Dann schwebte ein geisterhafter Klang durchs Haus, der einem die Nackenhaare aufstellte, undefinierbar, leise und eindringlich und furchteinflößend, ein Klang wie aus Fiebe r träumen auf dem Sterbebett, ein Klang, der aus Aberglauben Realität machte.
    Ich wußte, was es war. Ein elektronisches Rauschen, ve r mischt mit sich langsam beschleunigenden Herztönen, fast an der Hörbarkeitsschwelle, dazu ein Mädchenchor, den man durch Hallräume und alle möglichen Filter gejagt hatte. Ein halbes Jahr hatte unser Sound-Konzeptioner daran geb a stelt.
    Es war der jenseitigste Klang, den man je auf dieser Seite des Lebens gehört hatte. Die Sirenen des Todes.
    Dann kamen draußen in der Halle krachende Schritte, u n ter denen das ganze Haus zu beben schien. Geisterhaftes Licht (potentiometergesteuerte UV-Lampen) drang herein.
    Die Schritte klangen anders als sonst. Ich fröstelte.
    Wie hypnotisiert standen die Leute auf, um draußen nachzusehen.
    Wir waren kaum in der Halle, da zündete eine ganze Ba t terie von Studioblitzanlagen. Alles verschwand in einer we i ßen Explosion. Wir schlugen die Hände vors Gesicht.
    Als wir wieder sehen konnten, wallte dichter Nebel um uns. Soho Lights Fog Machine. Die krachenden Schritte ha t ten inzwische n d en Treppenabsatz im ersten Stock erreicht und kamen langsam herunter.
    Der Nebel senkte sich und wabberte kniehoch über den Boden. Aus dem Nebel trat eine Gestalt.
    Es war der Tod.
    Sein weißes Gewand flatterte in einem imaginären Sturm. Sein knochiger Schädel grinste. Ein schwarzer Totenvogel saß auf seiner Schulter. Die Sense bewegte sich in weitau s holenden Schnitterbewegungen.
    Meine Kopfhaut kribbelte, mein Herz schlug wie ein Hammer.
    Ssst, ssst, machte die Sense, als er auf uns zukam.
    Ich wußte, daß es Nigel Greenslade war, aber ich konnte mich nicht gegen ein abergläubisches Entsetzen wehren. Es war eine so archetypische Erscheinung. Wir kannten sie aus Bildern, aus Träumen, aus halbvergessenen Erinnerungen. Sie war in uns. Nun befreite sie sich und überwältigte uns.
    „ Da seid ihr ja. “
    Es klang liebevoll.
    Es saß genau auf dem Punkt. Unschlagbar, wie Greensl a de das brachte. Nicht überzogen, sondern auf den optimalen Effekt kalkuliert. Mit einer Stimme, die den alten Kinski zu schäumenden Neidanfällen getrieben hätte: wie ein kalter Hauch, körperlos, beinahe synthetisch. Weißes Rauschen aus dem Jenseits. Eine Lautsprecherdurchsage in einem le e ren, weißgekachelten OP-Saal. Letzter Aufruf für die Patie n ten auf Zimmer 328. Exit Gate D.
    Eine ältere Frau brach mit einem Seufzer zusammen und verschwand unter der Nebeldecke.
    Mein Atem klang, als käme er aus einer Sauerstoffmaske.
    „ Ich bin gekommen, um euch zu holen. “
    Ah, die Gleichgültigkeit. Ein Buchhalter, der ein paar L e benskonten abschließt. Ein KZ-Bürokrat, der einen neuen Transport abhakt.
    Ssst, ssst.
    Der Sachzwang, dem die Vernunft unter die Räder kommt. Der Fortschritt, den wir gerufen haben und der uns nun mit seinem Totenschädel angrinst.
    Ssst, ssst.
    Wir hatten eine Parabel inszeniert. Ich begriff es erst he u te.
    „ Ich spaße nicht. Diesmal meine ich es ernst. “
    Und er meinte es ernst. Seine Augen sahen verträumt aus – und absolut wahnsinnig. Die Hände an der Sense spannten sich krampfhaft.
    Greenslade hatte durchgedreht.
    Einer hielt es nicht mehr aus. Er sprang nach vorn.
    „ Verdammter Hokuspokus! “
    Die Sense bohrte sich wie ein Bajonett in seinen Kö r per.
    Für einen schockierten Augenblick lang schien die Sz e ne wie eingefroren. Einzelbildschaltung.
    Dann brach der Mann zusammen, riß dem Tod im Fa l len die Sense aus der Hand.
    Greenslade/Gevatter Tod stand da, als sei er eben aus e i ner Narkose erwacht.
    Ich rannte zu dem Gestürzten und schaute auf ihn hinab. Durch die Nebelschwaden, die über ihn hinwegzogen, wir k te er schon sehr entrückt. Er blutete wenig.
    Er war tot.
    Was für ein Skandal! Was für ein Fressen für die una b hängige Presse. Alles war im Eimer. Unser künstliches Fer i enparadies, meine Karriere, alles.
    Dann begannen die Leute begeistert zu klatschen.
    „ Großartig! “
    „ Unglaublich! “
    „ So lebensecht …“
    Für einen Augenblick dachte ich, ich sei überg e schnappt. Dann begriff ich. Sie dachten, das gehörte mit zur Show. Das ganze Feriengebiet war künstlich. Alles war künstlich,
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