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Gefangen in Deutschland

Gefangen in Deutschland

Titel: Gefangen in Deutschland
Autoren: Katja Schneidt
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Vater. Ab diesem Zeitpunkt versuchte ich die Verantwortung für meine Mutter zu übernehmen. Verständlicherweise war ich damit vollkommen überfordert und sehnte mich oft nach jemandem, der sich um mich kümmern, mir so etwas wie Nestwärme geben würde. In Mahmud – so glaubte ich – hatte ich diesen Menschen schließlich gefunden. Wenn er mir zu Beginn unserer Beziehung Vorschriften und Verbote machte, fühlte ich mich wichtig und wahrgenommen. Ich sah es als Zeichen seiner Liebe und erklärte mir seinen Widerwillen gegen meine alten Gewohnheiten damit, dass er sich eben Sorgen um mich machte. Diese Erfahrung, dass da jemand war, der auf mich aufpasste, tat mir unwahrscheinlich gut und so empfand ich zunächst viele Dinge, die bei meinen deutschen Freunden auf blankes Unverständnis stießen, überhaupt nicht als einschränkend.
    Der zweite wichtige Punkt war Mahmuds Familie. Ich wurde von seinen Eltern und Verwandten sehr herzlich aufgenommen und erlebte bei ihnen ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, wie ich es nie zuvor empfunden hatte. Das alles ließ mich auf einer Welle der Geborgenheit und Fürsorge schwimmen, wodurch ich viele Missstände einfach nicht als solche erkannte.
    Als Mahmud mich zum ersten Mal schlug, brach für mich eine Welt zusammen. Von einer Minute auf die andere wurde mir dieses Sicherheitsgefühl wieder genommen. Dadurch wurde ich traumatisiert und teilweise handlungsunfähig. Hinzu kam die ständige Angst, dass er seine unzähligen Drohungen, mich zu töten, in die Tat umsetzen könnte.
    Dieses Trauma wurde erst durch den Diebstahl Aysegüls durchbrochen. Meine Enttäuschung über sie, die ich als meine letzte Vertraute betrachtet hatte, war so grenzenlos, dass ich schlagartig aus meiner Ohnmacht erwachte. Zum ersten Mal war ich wieder fähig zu handeln, was sich dadurch bemerkbar machte, dass ich völlig gegen meine Natur gewalttätig gegenüber Aysegül wurde. Obwohl ich mich noch heute für meinen aggressiven Anfall schäme, bin ich gleichzeitig auch sehr dankbar für diesen Ausraster, denn mithilfe jener plötzlich auflodernden inneren Kraft – und sei sie in besagtem Moment noch so negativ gewesen – konnte ich mir mein Leben endlich zurückerobern.
    Der Weg aus meiner persönlichen Hölle heraus in einen normalen Alltag war steinig und schwer. Es hat lange gedauert, bis wieder so etwas wie Ruhe in mein Leben einkehrte. Ich musste mir eine vollkommen neue Existenz aufbauen, denn ich hatte ja nichts: weder eine abgeschlossene Berufsausbildung noch eine eigene Wohnung noch Geld. Die erste Zeit, die ich in einem Versteck bei Freunden verbrachte, litt ich unter schrecklichem Verfolgungswahn und wurde immer wieder von Panikattacken überfallen, in denen ich Todesängste ausstand.
    Die Tatsache, dass Mahmud nicht aufhörte, nach mir zu suchen, hat diesen psychischen Genesungsprozess natürlich nicht eben befördert. Zutiefst in seiner Ehre verletzt, konnte er nicht akzeptieren, dass die Frau, die er trotz allem liebte, einfach aus seinem Leben verschwunden war. Obwohl ich eine Auskunftssperre bei den Meldebehörden erwirkt hatte, gelang es ihm tatsächlich, mich ein paarmal aufzuspüren. Zum Glück war ich bei diesen Konfrontationen nie allein und konnte so nach außen hin eine Stärke demonstrieren, die ich innerlich in diesen Momenten gar nicht besaß. Zu tief hatte sich die Erinnerung an die Gewalt, die er mir angetan hatte, in meiner Seele festgebrannt. Doch Mahmud beteuerte immer wieder, dass wir füreinander bestimmt seien und ich froh sein könne, ihn kennengelernt zu haben, da ich ohne ihn sicherlich in der Gosse gelandet wäre und er eine ehrbare Frau aus mir gemacht hätte.
    Auch meine Mutter blieb von seinen Nachstellungen nicht verschont. Seine Besuche bei ihr hatten natürlich den Zweck, meinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen, aber meine Mutter hat jedes Mal eisern geschwiegen. Einmal tauchte er ein paar Tage vor meinem Geburtstag bei ihr auf. Er erklärte ihr, dass er mir gern ein Geburtstagsgeschenk machen wolle – ob sie denn eine Idee habe, was ich mir wünschen würde. Meine Mutter, die seine Frage nicht wirklich ernst nahm, sagte spontan: »Katja braucht ein Bügelbrett.« Wie gern hätte ich ihren Gesichtsausdruck gesehen, als er tatsächlich bereits am nächsten Tag mit dem angeblich gewünschten Bügelbrett vor ihrer Haustür stand!
    Etwa drei Jahre nach meiner Flucht, als sich mein Zustand allmählich stabilisiert und ich sowohl eine neue Arbeit als
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