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Es war einmal eine Familie

Es war einmal eine Familie

Titel: Es war einmal eine Familie
Autoren: Lizzie Doron
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die Freunde im Viertel einen Brief.

    Streng geheim
    Betrifft: Aktion zur Rettung von Leben
    Am Donnerstag um zehn Uhr abends, nachdem alle den Karpfen aus der Badewanne geholt haben, treffen wir uns an der Bushaltestelle am Platz, gegenüber von Sajtschiks Friseursalon. Den Karpfen muß man in Zeitungspapier wickeln, ineinen Plastikkorb stecken und sich dann aus dem Haus schleichen, ohne daß die Eltern es merken.
    P. S. Es ist verboten, den Eltern etwas zu sagen.
    Dubi

    »Das darf nicht sein«, erklärte Dovele den Kindern, die kein Interesse an der Rettungsaktion zeigten, »daß man bei uns im Viertel jeden Donnerstag einen lebenden Karpfen in die Badewanne setzt und am nächsten Morgen erbarmungslos durch den Fleischwolf dreht und zu Klops verarbeitet.«
    »Was ist wichtiger als die Rettung von Leben?« fragte er diejenigen wütend, die immer noch zögerten.
    Am Donnerstag fand ich mich zur verabredeten Zeit, zitternd vor Aufregung, an der Bushaltestelle ein, zusammen mit allen anderen Kindern meiner Klasse. Alle trugen Plastikkörbe, in denen in Zeitungspapier gewickelte Karpfen zappelten.
    Dovele umklammerte liebevoll den Korb, in dem sich sein Karpfen wand. Roni verkündete, sein Karpfen sei der größte, und Uri Donner prahlte, er sei der einzige, der zwei Karpfen in seinem Korb habe, seinen eigenen und den seiner Nachbarn. Matti, der Stinker, kam mit seinem Cousin und seiner Cousine angerannt, den Neueinwanderern aus Polen – drei Kinder mit einem einzigen Karpfen. Malkale brachte einen Korb, aber keinen Karpfen. Chemda kam ohne Korb und ohne Fisch, denn seit ihre Mutter gestorben war, gab es bei ihnen in der Badewanne keine Karpfen mehr, und ich war, weil ich in Dovele verliebt war, so schnell hergerannt, daß ich nicht bemerkt hatte, wie mein Karpfen unterwegs aus dem Korb auf die Straße gerutscht war und dort noch vor Abschluß der Lebensrettungsaktion den Tod gefunden hatte.
    Als der Autobus Nr. 11 an der Haltestelle hielt, verkündeten wir Berl, dem Busfahrer und Kinderfreund, aufgeregt: »Wir wollen zum Meer.«
    »Zum Meer, mitten in der Nacht?« wunderte er sich, doch er faßte sich sofort. »Der Autobus Nr. 11 fährt zum Rathaus und nicht zum Meer«, sagte er. »Ihr müßt einen anderen Autobus nehmen.«
    »Aber wir dürfen nicht bei jemandem mitfahren, den wir nicht kennen«, erinnerte ich ihn.
    »Und außerdem kommt kein anderer Autobus durch unser Viertel«, rief Chemda.
    »Wir steigen an der Endhaltestelle aus, und von dort aus gehen wir zu Fuß zum Meer«, schlug Dovele vor.
    »Dovele«, flüsterte Berl, der mittlerweile offenbar verstanden hatte, was unser Ziel war, »Karpfen sind Süßwasserfische, keine Meeresfische.«
    Es wurde still.
    Berl wünschte uns allen Erfolg für unsere Aktion, schloß die Türen des Busses und fuhr davon.
    Eine Woche später verteilte Dovele einen weiteren Brief.

    Streng geheim
    Betrifft: Aktion zur Rettung von Leben
    Am Donnerstag um zehn Uhr abends, nachdem alle den Karpfen aus der Badewanne geholt haben, treffen wir uns am Friedhofstor, von dort gehen wir zusammen zum neuen Schwimmbad auf dem Hügel.
    Dubi

    Zur zweiten Lebensrettungsaktion kam nur ich.
    Dovele, der am Friedhofstor auf die Freunde gewartet hatte, wollte die Aktion durchführen, trotz seiner Enttäuschung, also liefen wir zu zweit zum neuen Schwimmbad.
    Der Wachmann, der uns schon von weitem sah, rief: »Kinder, nach Hause mit euch! Das Schwimmbad ist nachts geschlossen.«
    »Mein Dovele wird nie Hunger kennen, denn dieser Lebensmittelladen wird einmal ihm gehören«, verkündete Efraim, der Ladenbesitzer und Doveles Vater, mit glänzenden Augen seinen Kunden und deutete mit seinen langen, schmalen Händen auf das Brotregal, den Käse-Kühlschrank, die Konservendosen und die Fässer mit Fischen.
    Efraim, der Lebensmittelhändler, war ein gutaussehender Mann, er war groß und schlank und trug immer eine graue Schürze, die zu seinen grauen Haaren und seinen grauen Augen paßte. Tag für Tag stand er in seinem kleinen Laden an der Kasse und bediente seine Kunden liebevoll. Er schnitt für sie frisches schwarzes Brot, gelben Käse und Wurst in Scheiben, aus einem tiefen Holzfaß zog er wie ein Zauberer geräucherte Makrelen oder Matjes hervor und wickelte mit einem herzlichen Lächeln Halva oder Fruchtgelee in Pergamentpapier. Mir schenkte er bei jedem Einkauf einen Kaugummi, und die Sachen, die ich gekauft hatte, steckte er in eine braune Papiertüte, auf die er mit Bleistift schrieb: Guten
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