Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es grünt so grün

Es grünt so grün

Titel: Es grünt so grün
Autoren: Ward Moore
Vom Netzwerk:
Verteilung des Metamorphers suchte, spürte ich, wie diese Gelegenheit sich mit jeder Sekunde weiter entfernte. Sie ihrerseits war still und so abwesend, daß ich mehrfach die Hand ausstrecken mußte, um sie vor Zusammenstößen mit anderen Fußgängern oder starren Gegenständen zu bewahren.
    Ich bezweifle, daß ich erst vor einer dreiviertel Stunde Mrs. Dinkmans Grundstück verlassen hatte. Ich hatte eine kleine Gruppe zurückgelassen, die sich an der Gratisvorstellung begeisterte, die der erfolgreichen Verschönerung eines örtlichen Schandflecks folgte; jetzt traf ich auf eine beträchtliche Menge, die sich an einem beeindruckenden Phänomen weidete. Die gemütliche Stimmung war dahin; niemand erteilte lauthals joviale Ratschläge. Meinungen und Kommentare wurden nur flüsternd ausgetauscht, verstohlene Blicke gingen zu dem Rasen, als handele es sich um ein lebendes Wesen, das durch unanständige Spekulationen beleidigt werden könnte. Als wir uns durch die Umstehenden drängten, bemerkte ich plötzlich, daß sie ängstlich bemüht waren, jeden Kontakt mit dem Gras zu vermeiden. Die vordersten Zuschauer hielten immer noch einen respektvollen Meter Abstand und machten, wenn sie durch Nachdrängende aus dem Gleichgewicht gebracht wurden, die merkwürdigsten Verrenkungen, um nicht auf das Gras zu treten, während sie gleichzeitig so taten, als würden sie keinerlei Tabu kennen; dadurch drehten und wanden sie sich wie unbeholfene Ballettänzer häufig auf einem Fuß. Daß sie ihre Hemmung verbargen, betonte mir um so mehr die neue, ehrfurchtgebietende Beschaffenheit des Grases; man konnte sich ihm nicht mehr leichtfertig nähern oder es einfach betreten.
    Nun bin ich nicht, was man im allgemeinen einen Menschen mit religiösen Empfindungen nennt, da ich den Glauben an das Übernatürliche längst abgelegt habe; und ich werde auch nicht in merkwürdigen Augenblicken von mythischen Gefühlen übermannt. Darüber hinaus kannte ich diesen speziellen Fleck Vegetation seit nunmehr gut achtzehn Stunden. Ich hatte seinen heruntergekommenen Zustand betrachtet; ich hatte Leben in ihn injiziert; ich hatte ihn im ersten Aufblühen des Wiederauflebens gesehen. Und alldem zum Trotz verfiel auch ich dem Zauber des Grases und erfuhr eine Stimmung, die aus Verwunderung und Furcht bestand.
    Der sauber geschnittene Streifen des kleinen Mannes mit dem Prachtkerl-Rasenmäher endete auf dramatische Weise in der Mitte des Vorgartens. Außerhalb dieses geschorenen Teils erhob sich das Gras in bedrohlichen Büscheln über Kniehöhe hinaus; grün, distanziert und höhnisch. Aber es war nicht dieser unmögliche Anblick, der mir dieses seltsame Gefühl gab. Es war der gemähte Teil; denn ich wußte noch genau, wie der Mäher des munteren Mannes knapp über Bodenhöhe geschnitten und kurze, feste Halme zurückgelassen hatte. Jetzt war dieses Stück fast ebenso groß wie zu dem Zeitpunkt, als ich es zum ersten Mal gesehen hatte – in einer Stunde war er schneller gewachsen als gewöhnliches Gras in einem ganzen Monat.
5.

    Ich warf einen verstohlenen Blick zu Miss Francis hinüber, um zu sehen, wie sie den Anblick aufnahm, aber ihr Gesicht zeigte keine sichtbare Gefühlsregung. Der Zahnstocher war wieder in Bewegung, und ihre glänzenden Augen blickten starr geradeaus. Ihre Füße standen weit auseinander, und sie schien für die nächsten Stunden Stellung zu beziehen, als wollte sie warten, bis das Gras sein phänomenales Wachstum einstellte.
    „Warum haben sie mit dem Mähen aufgehört?“ fragte ich den Mann neben mir.
    „Der Mäher hat aufgegeben – die Blätter waren so stumpf geworden, daß sie nicht mehr schnitten.“
    „Und jetzt – geben sie’s auf und lassen es wachsen?“
    „Zum Teufel, nein. Sie haben ’nen Gärtner mit’m Motormäher bestellt. Großes Gerät. Schneidet alles. Müßte eigentlich schon hier sein.“
    Das war er auch und hupte die Menge von der Fahrbahn. Mrs. Dinkman stand bei dem Gärtner, sie wirkte sehr entrüstet, gequält, verärgert und selbstgerecht. Es war offensichtlich, daß sie keine Einigung erzielt hatten.
    Der Gärtner schlug die Tür seines altersschwachen Lastwagens mit einem bemerkenswerten Mangel an Freundlichkeit zu. „Ich mähe ja jede Menge Teufelsgras, Gnädigste, aber zu diesem Preis werde ich mich mit diesem überwachsenen Zeug nicht abgeben. Das können Sie nicht erwarten. Ich weiß, was fair ist, und es ist nicht anständig, von mir zu erwarten, ich würde dies hier mähen, als wäre
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher