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Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers
Autoren: Adam Karillon
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weiten Bezirks. Leider hat er kein hohes Alter erreicht. Geschätzt und betrauert von den Leuten des Auslands ist er mitten aus einem erfolgreichen Schaffen heraus im besten Mannesalter nach einem besseren Jenseits heimgegangen. Ich saß also nun in der Sexta des Mainzer Gymnasiums, aber nicht an deren erstem Platz, sondern am letzten. Meine Hauptaufgabe war, den Ofen in Ordnung zu halten, eine schwierige Sache unter einem Schuldiener, dem man im Holzstall ein jedes Stück Holz abbetteln mußte. Doch ich wehrte mich ritterlich gegen den Geiz des Alten und gelangte bei meinen Lehrern in das Ansehen eines guten Feuerwerkers. Vermutlich aber wäre ich gleichwohl am Ende des Jahres sitzen geblieben, wenn ich mich nicht durch eine kleine Unehrlichkeit, die ich zu Nutz und Frommen mittelmäßigerSchüler anderwärts beschrieben habe, unter die Zahl der dreißig vordersten hinaufgeschafft hätte. Die Anstalt war kolossal überfüllt. Siebenzig Zöglinge in einer Klasse war keine Seltenheit. Bei so viel Hochwasser pflegten die Lehrer sich Luft zu verschaffen. Es war üblich geworden, daß ein Drittel der Schüler in den unteren Klassen sitzen blieb. Hatte man erst die Quinta alten Stiles, die heutige Untertertia, erreicht, dann war man in einem minder bewegten Fahrwasser und konnte annehmen, daß man gemächlich bis an das Wehr des Maturitätsexamens herangeschwemmt werde. Unter der Direktion Bones hatte sich das Mainzer Gymnasium in ganz Süddeutschland eines guten Rufes zu erfreuen.
    Überhaupt galt Mainz dazumal seinen vollen Batzen. Mit dem Krummstabe in der schwerberingten Rechten regierte von hier aus der streitbare Bischof Wilhelm Emanuel, Freiherr von Ketteler, das Hessenland. An den Stufen seines sazerdotalen Hochsitzes standen als Wappenriesen rechts der redegewaltige Moufang und links der ewig lächelnde Domdechant Heinrichs, während auf Katzenpfoten die Gräfin Hahn-Hahn und auf Hundekrallen der Schweinemetzger Falk die feudale Priesterresidenz umzirkelten. Über allen diesen aber und das Puppenspiel an unsichtbaren Fäden lenkend, schwebte als Spiritus Rektor der Jesuitenpater von Doß. Sein bartlos mageres Gesicht wuchs aus dem kelchförmigen, schwarzen Kragen der Sutane heraus und überschaute mit klugen Augen durch stark gebuckelte Brillengläser alle Winkel und Ecken der Stadt und des Landes. Nichts entging seiner kontrollierenden Aufmerksamkeit, und Dutzende von Sodalitäten und Kongregationen stellten ihm ein mehr als eifriges Überwachungspersonal zur Verfügung. So war es schwer, ja fast unmöglich gemacht, ungestraft über die Stränge zu schlagen. Dazu kam für mich noch während der ersten fünf Jahre meiner Gymnasiastenzeit die fast klösterliche Klausur des Konviktes. Kein Tritt vor die Tür, außer wenn es in geschlossenem Haufen zur Schule ging und wieder zurück. An den Mittwochen und Samstagen ein Spaziergang vor das Stadttor, aber nach Sträflingsart einer neben den anderen gereiht in langer Schlange. Festtage waren es, wenn wir, um den Kirschbaum zu leeren, in den Hof des Bischofs geladen waren, einen Ausflug auf den Leniaberg machten, mit dem ehrwürdigen Kirchenfürsten Ball spielten oder vor dem Gautor Schneeball warfen. Bei solchen Gelegenheiten lernte ich den Grafen Galen kennen, der damals die Sutane eines Kaplans trug, später aber der Beichtvater des in Serajewo ermordeten österreichischen Thronfolgers geworden war. Ein anderer war noch um den Bischof herum, der in der Weltgeschichte eine Rolle spielen sollte. Es war Kettelers Neffe, der in der Tien-Mönstraße zu Peking durch eine Kugel aus einer Boxerflinte endete und durch sein Blut dem Deutschen Reich den chimärischen Besitz der Provinz Schantung erkaufte. Der junge Freiherr war mit dem Grafen Hoensbroech am Jesuitengymnasium zu Feldkirch erzogen worden. Da aber die letztere Anstalt nicht das Maturitätszeugnis verleihen konnte, so pflegten deren Schüler, die sich aus dem rheinisch-westfälischen Adel rekrutierten, von Unterprima ab das Mainzer Gymnasium aufzusuchen. So kam's, daß die Sprößlinge aus den alten Geschlechtern der Gemmingen, Löwenstein, Diepenbrock usw. gleich mir aus dem Bäckerkorb im Mainzer Gymnasiumshof ihr schwarzgebranntes Frühstück kauften.
    Daß übrigens sonstwie Rücksichten auf die feudalen Herrschaften genommen worden wären, kann ich nicht sagen. Der Lehrer handhabte noch das Züchtigungsrecht über seine Schüler, und wenn es Ohrfeigen gab, so bekam sie einer wie der andere.
    Ewig denke ich
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