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Enwor 11 - Das elfte Buch

Enwor 11 - Das elfte Buch

Titel: Enwor 11 - Das elfte Buch
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Er wusste so wenig über das Leben, wie konnte ihn da der Tod erschrecken? Es hatte hier geendet. Und hier begann es.
    Er versuchte eine Weile mehr Einzelheiten zu erkennen, denn er spürte, dass die Schatten da oben wichtig waren, gab es aber schließlich auf. Die Erinnerungen würden zurückkommen, aber sie ließen sich nicht herbeizwingen. Obwohl die Sonne gerade erst aufgegangen war, war ihr Licht bereits sengend und trieb ihm die Tränen in die Augen. Er blinzelte ein paarmal, drehte sich wieder in die entgegengesetzte Richtung und sah auf das Ufer hinab. Das Ufer, das aus in zähem Lehm eingebetteten Felsen bestand, hätte jede Spur getreulich bewahrt, doch die einzigen Fußabdrücke, die er sah, waren seine eigenen.
    Seltsam. Er hatte die Stimme ganz deutlich gehört. Aber genauso deutlich war auch, dass niemand ihm auch nur nahe gekommen war, um mit ihm zu reden.
    Niemand zumindest, der Spuren hinterließ.
    Vielleicht war die Stimme doch nur Teil seines Traumes gewesen, so wie seine Angst und die spinnengliedrige, dunkle Kreatur. Er erinnerte sich nicht wirklich daran, ebenso wenig wie an das, was diesem Bild vorangegangen war. Da waren verschwommene Eindrücke, nebelhaft und nicht ganz real — sein Kampf gegen das Wasser, der Weg durch die Brandung, die Klippen. Aber wie war er ins Wasser gekommen? Hatte er Schiffbruch erlitten oder war er durch eine Ungeschicklichkeit ins Wasser gefallen oder… Langsam. Beantworte eine Frage nach der anderen und versuche nicht Probleme zu lösen, bevor du sie überhaupt erkennst.
    Das war nicht mehr die unheimliche Stimme aus seinem Traum. Er erinnerte sich noch immer nicht genau an das, was sie gesagt hatte, glaubte aber zu spüren, dass es eine Art Warnung gewesen war. Es war seine eigene Stimme; ein Teil von ihm, der logischer und sachlicher dachte, als er erwartet hatte.
    Und so ganz nebenbei Recht hatte.
    Er sollte versuchen sich zu erinnern, wer er war, bevor er darüber nachdachte, wie er hierher kam und wo dieses hier überhaupt war.
    Ninga. Der Sturz von Ninga. So nannten die Menschen diesen gigantischen Wasserfall. Ein weiterer Erinnerungsfetzen, der plötzlich da war. Ihm folgte kein weiterer und er versuchte auch nicht noch einmal sie mit Gewalt herbeizuzwingen. Seine Vergangenheit war in eine Million Scherben zersprungen und vielleicht hatte es einen Sinn, dass er die einzelnen Stücke nur nacheinander fand.
    Er schloss wieder die Augen, stützte das Kinn auf die angezogenen Knie und atmete tief und sehr bewusst ein und wieder aus. Die Luft, die vom Wasser heraufstieg, schmeckte bitter, aber sie war auch sehr kalt, und nachdem er seinen Körper einmal gezwungen hatte sie zu inhalieren, spürte er, wie die Kälte das Durcheinander hinter seiner Stirn zu lichten begann. Was sich einstellte, war auch jetzt nur Leere, kein Wissen, aber er war nicht enttäuscht. Seine Erinnerungen kehrten zurück. Langsam, aber sie kehrten zurück.
    Er wandte wieder den Kopf und sah zum Wasserfall hin, der ihm nun noch größer und Furcht einflößender erschien als zuvor.
    Langsam richtete er sich auf. Er begann zumindest zu ahnen, was mit ihm geschehen war. Die Erklärung war ebenso simpel wie beruhigend: Er hatte sein Gedächtnis verloren und damit seine Vergangenheit und auch alles, was er einmal gewesen war. Aber immerhin war er am Leben und er war nicht so schwer verletzt, dass er sich nicht bewegen konnte oder auch nur in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt war.
    Er drehte sich einmal im Kreis, überzeugte sich erneut —und diesmal sehr viel gründlicher — davon, dass das Ufer außer seinen eigenen auch wirklich keine Spuren aufwies, und tat schließlich das, was er eigentlich als Erstes nach seinem Erwachen hätte tun sollen: Er unterzog seinen Körper einer gründlichen Inspektion.
    Seine Haut war überall zerschunden. Er war mit blauen Flecken und Quetschungen übersät, hatte Schürfwunden an Armen und Beinen davongetragen und außerdem war er nackt. Das Wasser musste ihm wohl die Kleider vom Leib gerissen haben.
    Vorsichtig, mit spitzen Fingern, betastete er die größeren Verletzungen. Es tat weh, aber mehr auch nicht. Ihm war nichts Ernsthaftes zugestoßen. Keine Brüche oder Verstauchungen, die ihn in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt hätten. Er hatte Glück gehabt. Die Schrammen und kleinen Schnitte würden schon in wenigen Tagen verschwunden sein und auch die größeren Verletzungen bald verheilen.
    Bei allem war nichts, worüber er sich Sorgen
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