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Enigma

Enigma

Titel: Enigma
Autoren: Robert Harris
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Er massierte sich mit dem Handrükken die Stirn. Das vertraute Kopfweh kehrte zurück, breitete sich von den Stirnhöhlen bis in den Hintergrund der Augen aus.
    Er hatte gedacht, sie wäre es. Das war der Witz. Ungefähr eine halbe Minute lang, während er auf das erleuchtete Fenster zurannte, war er glücklich gewesen. Es war erbärmlich.
    Das Wasser im Kessel begann zu kochen. Er öffnete die Teedose und stellte fest, daß die Teeblätter im Laufe der Zeit zu Staub zerfallen waren. Er löffelte sie trotzdem in die Kanne und übergoß sie mit dem kochenden Wasser.
    Logie verkündete, es wäre der reinste Nektar.
    Hinterher saßen sie schweigend im Halbdunkel. Die einzige Beleuchtung kam vom schwachen Licht der Schreibtischlampe hinter ihnen und dem blauen Glimmen der Heizung vor ihren Füßen. Die Gasdüse zischte. Durch die Verdunkelungsvorhänge hindurch war ein leises Plätschern zu hören und das traurige Quaken einer Ente. Logie saß auf dem Fußboden, hatte die langen Beine ausgestreckt und hantierte mit seiner Pfeife. Jericho saß in einem der beiden Sessel und stocherte geistesabwesend mit der Röstgabel im Teppich herum. Leveret war angewiesen worden, draußen Wache zu halten: »Sind Sie so freundlich und machen beide Türen zu? Die innere und die äußere, seien Sie so gut.«
    Der warme Toastduft hing noch im Zimmer. Ihre Teller hatten sie beiseite geschoben.
    »Hier ist es wirklich überaus gemütlich«, murmelte Logie.
    Er riß ein Streichholz an, und die Gegenstände auf dem Kaminsims warfen einen Moment lang Schatten auf die feuchte Wand. »Obwohl man weiß, daß man sich in gewisser Hinsicht glücklich schätzen kann, an einem Ort wie Bletchley zu sein, wenn man bedenkt, wo man sonst sein könnte, geht einem die Schäbigkeit dieses Ortes doch ziemlich auf die Nerven. Meinen Sie nicht auch?«
    »Ja, das kann schon sein.« Rück endlich mit der Sprache raus, dachte Jericho und stach auf ein paar Krümel ein. Wirf mich hinaus, und dann verschwinde.
    Logie brachte mit seiner Pfeife ein zufriedenes Sauggeräusch hervor, dann sagte er leise: »Wissen Sie, wir haben uns alle fürchterliche Sorgen um Sie gemacht, Tom. Ich hoffe, Sie hatten nicht das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein.«
    Angesichts dieser so unerwarteten Anteilnahme stellte Jericho überrascht und beschämt fest, daß ihm Tränen in die Augen traten. Er hielt den Blick weiterhin auf den Teppich gerichtet: »Ich fürchte, ich habe mich ganz entsetzlich zum Narren gemacht, Guy. Und das Schlimmste daran ist, daß ich mich an vieles überhaupt nicht mehr richtig erinnern kann. Da ist fast eine Woche, die mir völlig abhanden gekommen ist.«
    Logie schwenkte seine Pfeife. »Sie sind nicht der erste, der in dem Laden seine Gesundheit ruiniert hat, alter Junge. Haben Sie in der Times gelesen, daß der arme Dilly Knox vorige Woche gestorben ist? Sie haben ihm zum Schluß noch einen Orden verliehen. Nichts Überragendes, St. Michael and St. George, glaube ich. Er bestand darauf, ihn persönlich bei sich zu Hause entgegenzunehmen, mit Kissen in einem Sessel abgestützt. Zwei Tage später war er tot. Krebs. Furchtbar. Und dann war da noch Jeffreys. Erinnern Sie sich an ihn?«
    »Er wurde auch nach Cambridge zurückgeschickt, um sich zu erholen.«
    »Genau der. Was ist aus ihm geworden?«
    »Er ist gestorben.«
    »Ach. Ein Jammer.« Logie beschäftigte sich weiter mit seiner Pfeife, drückte den Tabak fest und riß ein weiteres Streichholz an.
    Lieber Gott, laß nicht zu, daß sie mich in die Verwaltung stecken, betete Jericho. Oder in die Versorgung. Claire hatte ihm von einem Mann in der Versorgung erzählt, der für die Unterbringung zuständig war, und die Mädchen mußten sich auf seinen Schoß setzen, wenn sie ein Quartier mit Badezimmer haben wollten.
    »Es war Shark, nicht wahr«, sagte Logie und warf ihm dabei durch eine Rauchwolke hindurch einen prüfenden Blick zu, »was Sie fertiggemacht hat.«
    »Ja, vielleicht. Könnte man so sagen.«
    »Aber Sie haben ihn geknackt«, fuhr Logie fort. »Sie haben Shark geknackt.«
    »So würde ich es nicht ausdrücken. Wir haben ihn geknackt.«
    »Nein. Sie haben ihn geknackt.« Logie drehte das abgebrannte Streichholz in seinen langen Fingern. »Sie haben ihn geknackt. Und dann hat er Sie geknackt.«
    Vor Jerichos innerem Auge blitzte plötzlich ein Bild von ihm selbst auf einem Fahrrad auf, unter einem sternenübersäten Himmel. In einer kalten Nacht mit dem Knacken von Eis.
    »Hören Sie«, sagte
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