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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus
Autoren: Gerald Messadié
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Garizim. Sie sind derart fanatisch«, sagte er und hob dabei die Augenbrauen, »daß sie sowohl die ehemals heilige Stätte in Schilo wie auch den großen Tempel, dessen Wiederaufbau ich vor mehreren Jahren begonnen habe, schlicht und einfach für heidnisch erklären.«
    »Wie töricht!« rief der Legat, während er auf einer Zitronenschale kaute.
    »Ja, töricht. Und jetzt sind sie sich spinnefeind mit den anderen Juden, die sich nur noch selten in ihre Provinz vorwagen und sich mit kaum geringerem Widerwillen unter sie mischen als diese unter die übrigen Juden.«
    »Wie konnte es geschehen, daß Juden anderen Juden gegenüber so feindselig werden konnten?« fragte der Legat, während er sich von den Seezungenfilets nahm und sie unter einer großzügigen Sahneschicht verschwinden ließ.
    »Es scheint, der Zwist begann bei der Gründung der Samariter-Sekte vor fast neunhundert Jahren. Omri, der König des Nordreichs Israels — das Südreich stellte Judäa mit Jerusalem als Hauptstadt dar — , kaufte damals einem Mann namens Schemer einen Hügel für zwei Silbertalente ab. Omri ließ dort eine Stadt bauen, aus der er seine Hauptstadt machte, und das war Samaria. Von diesem Zeitpunkt an zeichneten sich die Eigenheiten der Samariter rasch deutlich ab. Omris Sohn Ahab heiratete eine fremdländische Prinzessin, die Phönizierin Jezabel, und führte durch sie den Baal-Kult und andere phönizische Gottheiten ein. Nahezu gleichzeitig aber baute er einen jüdischen Tempel. Das war nicht nur widersprüchlich, das war Gotteslästerung, und die übrigen Juden schrien unter der Führung des Propheten Elias nach Rache. Die Dynastie der Omriden wurde im übrigen in der Folge ausgelöscht. Ein Bote des Propheten Elias setzte einen neuen König ein: Jehu. Kannst du mir folgen?«
    »Ausgezeichnet, erhabener Herodes.«
    »Wie findest du diesen Wein?«
    »Die Götter könnten sich keinen besseren wünschen.«
    »Ein einziger Gott wäre genug, danke. Ich werde dir davon in den Palast bringen lassen. Sind eure Soldaten an den Genuß von Wein gewöhnt?« fragte Herodes.
    Der Legat warf einen Blick auf seine Leibwachen und runzelte die Augenbrauen; das Limit des einen erlaubten Bechers hatten sie gewiß überschritten.
    »Ich halte es für geraten, sie einstweilen etwas kürzerzuhalten«, meinte er. Nachdem Herodes diesbezügliche Anordnungen erteilt hatte, fragte der Legat weiter: »Und die Samariter?«
    »Die Samariter? Ach ja, die waren von den Propheten besiegt worden.«
    »Was ist eigentlich ein Prophet?«
    Herodes murmelte auf hebräisch eine bissig-ironische Bemerkung und sagte laut: »Was ein Prophet ist? Ein Mensch, der von den göttlichen Eingebungen beseelt ist und die anderen anführt. Nun gut, Friede, wenn nicht gar Zufriedenheit, hätte in Samaria wieder einkehren können. Das Israel getaufte Nordreich wurde von einer Dynastie regiert, deren Gründung auf einen großen Propheten zurückging. Alles hätte reibungslos verlaufen können. Aber nein, zwei andere Propheten, Amos und Hosea, begannen voll apokalyptischer Wut lauthals zu predigen, daß Israels Untergang nahe sei. Sicher bewiesen sie einen guten Sinn für die politische Lage, denn Israel fiel in der Tat nach einer dreijährigen Belagerung durch den Assyrerkönig Syrgon II. Nach dieser Belagerung geschah es, daß die Samariter nach Medien und Mesopotamien verschleppt wurden und in ihrem eigenen Land durch die Bevölkerung der heidnischen Stadt Cutha ersetzt wurden, weswegen sie nun von den Juden als Bastarde angesehen werden.«
    Herodes versah seinen Teller mit einer reichlichen Portion Enten-brüstchen und Feigen; der Legat folgte seinem Beispiel. Beide leerten ihre Rhyta, die sofort wieder gefüllt wurden.
    »Doch du selbst, Herodes, du verachtest Samaria nicht, wenn ich recht verstehe. Hast du die Stadt nicht schließlich zu deiner Hauptstadt auserwählt?«
    »Du willst sagen, Sebaste, wie wir sie heute nennen. Ja, ich mag das Klima, und deshalb lasse ich die Stadt wieder neu errichten. Ich kann nicht behaupten, daß dies der Sache der Samariter sonderlich dienlich gewesen wäre. Jetzt sind die anderen Juden auch noch eifersüchtig auf sie.«
    »Und wer sind diese anderen Juden?«
    »Zunächst haben wir da die Pharisäer. Ich bin mir nicht sicher, ob sie tatsächlich im Ursprung Juden gewesen sind. Es gibt Philosophen am Hofe, die das Gegenteil sagen«, erzählte Herodes mit einem gewaltigen Bissen im Mund. »Die Bezeichnung Pharisäer leitet sich ab von Parsi, das
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