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Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord

Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord

Titel: Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord
Autoren: Colleen McCullough
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vorbeikam.«
    »Hat es Sie überrascht, als er so unerwartet starb?«
    »Man könnte eher sagen, es schockierte mich. Bis auf dieses hier war 1939 das schrecklichste Jahr meines Lebens. Ich sitze über meinen Büchern, lerne, und eine graue Wand fällt herunter – wumm! Ich bin für immer blind. Ein Besuch beim Augenarzt, und ich sitze im Zug nach Cleveland. Kaum bin ich in der Blindenschule angekommen, ruft Charles mich an und sagt, Morton sei tot. Fiel einfach – um!« Sie erschauerte.
    »Sie haben angedeutet, Ihre Mutter sei vor Januar 1930 mental nicht besonders stabil gewesen, aber ganz offensichtlich hat sie das gut kaschiert. Was ist also gegen Ende 1941 passiert, das eine echte Altersdemenz hervorgerufen hat?«
    Claire verzog das Gesicht. »Was direkt nach Pearl Harbor passierte? Charles sagte, er werde heiraten. Erst zwanzig, aber kurz vor der Volljährigkeit. Mitten im Physikum an der Chubb. Er hatte beim Tanzen ein Mädchen aus Smith kennengelernt, und es war Liebe auf den ersten Blick. Mama drehtevöllig durch. Das Mädchen floh. Ich bot an, nach Hause zu kommen und mich um Mama zu kümmern – wie sich herausstellte, für fast zweiundzwanzig Jahre. Nicht, dass ich für Charles nicht noch mehr als eine mühselige Sache wie diese getan hätte. Nehmen Sie aber nicht an, ich sei Mamas Sklave gewesen – ich lernte, sie zu kontrollieren. Aber während sie lebte, konnten Charles und ich unsere Liebe zu gutem Essen, Wein und Musik nicht richtig ausleben. Unter uns, Captain, Sie und Mama haben mein Leben ruiniert. Drei kostbare Jahre, in denen ich Charles ganz für mich allein hatte, das ist die Summe meiner Erinnerungen. Drei kostbare Jahre …«
    Fasziniert fragte sich Carmine, ob Danny Marciano recht hatte. Waren Bruder und Schwester ein Liebespaar gewesen?
    »Sie konnten Ihre Mutter nicht gerade leiden«, sagte er.
    »Ich habe sie gehasst!
Sie gehasst!
Ist Ihnen klar«, fuhr Claire mit plötzlicher Heftigkeit fort, »dass Charles von seinem dreizehnten bis achtzehnten Geburtstag in einer Kammer unter den Treppen hausen musste?« Die Wut verflog; ein ängstlicher Funke flackerte in ihren Augen, der verschwand, als ihre Hände an den Mund flogen und ihre Zunge berührten. »Oh, das wollte ich nicht sagen. Das war etwas, was ich nicht sagen wollte. Es hat mich mitgerissen.
Mitgerissen!
«
    »Besser ausgesprochen als verschluckt«, sagte Carmine. »Reden Sie weiter!«
    »Jahre später hat mir Charles gesagt, Mama habe ihn beim Masturbieren erwischt. Sie wurde rasend. Sie schrie, brüllte, spuckte, biss und schlug – er hätte sich nie gegen Mama gewehrt. Ich habe mich immer gewehrt, aber Charles war das erstarrte Kaninchen im Angesicht der Schlange. Sie hat nie wieder mit ihm gesprochen, das brach sein armes, kleines Herz. Wenn er aus der Schule oder von Bob Smith nach Hause kam, ging es direkt in die Kammer. Es war eine große Kammer mit einer Glühbirnedarin. Oh, Mama war ja so fürsorglich! Er hatte eine Matratze auf dem Boden und einen harten Stuhl – und es gab ein Regal, das er als Tisch benutzen konnte. Sie schob ihm ein Tablett mit Essen hinein und holte es hinterher wieder ab. Als Toilette hatte er einen Eimer, den er jeden Morgen ausleeren und reinigen musste. Bis ich nach Cleveland ging, war es meine Aufgabe, ihm das Essen zu bringen, aber ich durfte nicht mit ihm reden.«
    Carmine rang nach Luft. »Das ist lächerlich!«, rief er. »Er ging auf eine sehr gute Schule – es gab Berater, einen Direktor, er hätte es nur jemandem
erzählen
müssen! Sie hätten sofort gehandelt.«
    »Etwas zu erzählen lag Charles nicht«, sagte Claire mit erhobenem Kinn. »Er bewunderte Mama und gab Daddy an allem die Schuld. Er hätte sich einfach nur wehren müssen, aber er tat es nicht. Die Kammer war die Strafe für eine schreckliche Sünde, und er nahm seine Strafe hin. An dem Tag, als er achtzehn wurde, ließ sie ihn raus. Aber sie hat nie mehr mit ihm gesprochen.« Sie zuckte die Achseln. »Das war Charles. Vielleicht ermöglicht Ihnen das, zu verstehen, warum ich mich immer noch weigere, zu glauben, dass er irgendetwas von diesen schrecklichen Dingen getan hat. Charles hätte nie jemanden vergewaltigen oder foltern können.«
    Carmine richtete sich auf. »Gott weiß, dass ich nicht den Wunsch habe, weiter zu ihrem Leid beizutragen, Miss Ponsonby, aber ich kann Ihnen versichern, dass Charles das Monster von Connecticut gewesen ist.« Er ging zu den Treppen. »Ich muss jetzt gehen. Nein, bleiben Sie sitzen.
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