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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens
Autoren: Stefan Zweig
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anklagt in meinem eigenen Namen?« Diesen einen Brief nimmt er mit sich, um ihn gleich zu beantworten, nun er aufsteht, in sein Arbeitszimmer zu gehen. An der Tür kommt der Sekretär noch nach und erinnert, zu Mittag habe sich der Korrespondent der »Times« angesagt für ein Interview: ob er ihn empfangen wolle. Tolstois Gesicht verfinstert sich. »Immer diese Zudringlichkeit! Was wollen sie denn von mir: nur in mein Leben gaffen. Was ich sage, steht in meinen Schriften; jeder, der lesen kann, vermag sie zu verstehen.« Aber irgendeine eitle Schwäche gibt doch rasch nach. »Meinetwegen«, sagt er, »aber nur für eine halbe Stunde.« Und kaum, daß er die Schwelle des Arbeitszimmers überschreitet, murrt schon das Gewissen: »Warum habe ich schon wieder nachgegeben; immer noch, mit grauen Haaren, eine Spanne vor dem Tode handle ich noch eitel und liefere mich aus an Menschengeschwätz, immer wieder werde ich schwach, wenn sie gegen mich andringen. Wann werde ich endlich lernen, mich zu verbergen, mich zu verschweigen! Hilf mir, Gott, hilf mir doch!«
    Endlich allein mit sich im Arbeitszimmer. An den nacktenWänden hängen Sense, Rechen und Beil, auf dem gebohnten Grund steht fest, mehr Klotz als Ruhestatt, ein schwerer Sessel vor dem plumpen Tisch; eine Zelle, halb mönchisch, halb bäurisch. Vom letzten Tage liegt noch der Aufsatz halbfertig auf dem Tisch, »Gedanken über das Leben«. Er überliest seine eigenen Worte, streicht, ändert, setzt wieder an. Immer wieder stockt die rasche, übergroß kindliche Schrift. »Ich bin zu leichtfertig, ich bin zu ungeduldig. Wie kann ich über Gott schreiben, wenn ich mich über den Begriff noch nicht klar fühle, wenn ich selbst noch nicht fest stehe, und meine Gedanken schwanken von einem Tage zum andern? Wie soll ich deutlich sein und jedem verständlich, wenn ich über Gott spreche, den unaussprechlichen, und über das Leben, das ewig unverständliche? Was ich da unternehme, geht über meine Kraft. Mein Gott, wie sicher war ich früher, da ich dichterische Werke schrieb, den Menschen das Leben darbot, wie Er es vor uns hingestellt hat und nicht so, wie ich, ein alter, verwirrter, suchender Mann, mir wünsche, daß es wahrhaft sei. Ich bin kein Heiliger, nein, ich bin es nicht und sollte nicht die Menschen lehren; ich bin nur einer, dem Gott hellere Augen und bessere Sinne als Tausenden zugetan, damit er seine Welt rühme. Und vielleicht war ich wahrer und besser damals, als ich nur der Kunst diente, die ich jetzt so unsinnig verfluche.« Er hält inne und blickt sich unwillkürlich um, als könnte ihn jemand belauschen, wie er nun aus einer versteckten Lade die Novellen holt, an denen er jetzt heimlich arbeitet (denn öffentlich hat er ja die Kunst als eine »Überflüssigkeit«, eine »Sünde« verhöhnt und erniedrigt). Da sind sie, die heimlich geschriebenen, vor den Menschen versteckten Werke, »Hadschi Murat«, »Der gefälschte Coupon«; er blättert sie an und liest ein paar Seiten. Das Auge wird wieder warm. »Ja, das ist gut geschrieben«, fühlt er, »das ist gut! Daß ich seine Welt schildere, nur dazu hat mich Gott gerufen, nicht daß ich seine Gedanken verrate. Wie schön ist die Kunst, wie rein das Schaffen und wie qualvoll das Denken! Wie war ich glücklich damals, als ich jene Blätter schrieb, mir selber rannen die Tränen nieder, als ich den Frühlingsmorgen im ›Eheglück‹ schilderte, und noch nachts kam Sophia Andrejewna herein, mit brennenden Augen, und umarmte mich: beim Abschreiben mußte sie innehalten und mir danken, und wir warenglücklich die ganze Nacht, das ganze Leben. Aber ich kann jetzt nicht mehr zurück, ich darf die Menschen nicht mehr enttäuschen, ich muß weiter auf dem begonnenen Weg, weil sie von mir Hilfe erhoffen in ihrer Seelennot. Ich darf nicht innehalten, meine Tage sind gezählt.« Er seufzt auf und schiebt die geliebten Blätter wieder in das Versteck der Lade zurück; wie ein Lohnschreiber, stumm, ärgerlich schreibt er weiter an dem theoretischen Traktat, die Stirn zerfurcht und das Kinn so tief gebückt, daß der weiße Bart manchmal raschelnd über das Papier mitstreift.
    Endlich Mittag! Genug getan für heute! Weg die Feder: er springt auf und wirbelt mit seinen flinken, kleinen Schritten die Treppe hinab. Dort hält schon der Reitknecht Delire, die Lieblingsstute, bereit. Ein Ruck in den Sattel, und schon strafft sich die beim Schreiben gebückte Gestalt, er scheint größer, stärker, jünger, lebendiger, als
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