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Dolores

Dolores

Titel: Dolores
Autoren: Stephen King
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ob sie mir nun auf die Hände schlug oder icht. Meistens ließ sie es ohnehin, nachdem sie es ein paarmal versucht hatte, weil ich sie ertappt hatte und wir beide es wußten. Ihre Maschinerie war so alt, daß sie weiterlief, wenn sie sie einmal in Gang gesetzt hatte. Ich schob ihr fein säuberlich die Bettpfanne unter, und wenn ich dann ging, um das Wohnzimmer zu saugen, fluchte sie gewöhnlich wie ein Dockarbeiter - und das hörte sich dann kein bißchen nach Vassar an, das kann ich euch versichern! Weil sie nämlich ganz genau wußte, daß sie diesmal den Kürzeren gezogen hatte, und es gab nichts, das Vera mehr gegen den Strich ging. Sogar als alte Frau haßte sie es, zu verlieren.
Auf diese Weise ging es eine Weile weiter, und ich fing an zu glauben, ich hätte den ganzen Krieg gewonnen anstatt nur ein paar Schlachten. Ich hätte es besser wissen müssen.
Es kam ein Putztag - das war vor ungefähr anderthalb Jahren -, an dem ich wieder auf der Lauer lag, bereit, hinaufzurennen und sie wieder zu erwischen. Es machte mir sogar ein bißchen Spaß; es entschädigte mich für die vielen Male, bei denen ich den Kürzeren gezogen hatte. Und ich rechnete damit, daß sie diesmal einen wahren Kacke-Tornado plante, wenn sie damit durchkam. Alle Anzeichen waren da, und noch einige dazu. Zum einen hatte sie nicht nur einen klaren Tag, sie hatte eine volle klare Woche am Montag hatte sie sogar verlangt, daß ich das Brett auf die Lehnen ihres Stuhles legen sollte, damit sie ein bißchen Big Clock-Solitaire spielen konnte, genau wie in den alten Zeiten. Und was ihre Eingeweide anging, so hatte sie eine regelrechte Trockenzeit; seit dem Wochenende hatte sie nichts auf den Sammelteller gelegt. Ich rechnete damit, daß sie vorhatte, mir an diesem speziellen Donnerstag außer ihrem Sparkonto auch noch ihre verdammte Weihnachtsgratifikation zukommen zu lassen.
    Nachdem ich am Mittag dieses Putztages die Bettpfanne unter ihr hervorgezogen und gesehen hatte, daß sie knochentrocken war, sagte ich zu ihr: »Glauben Sie nicht, daß Sie etwas zustandebringen würden, wenn Sie sich ein bißchen mehr Mühe gäben, Vera?«
    »Ach, Dolores«, erwiderte sie und blickte mit ihren trüben blauen Augen zu mir auf wie ein unschuldiges Lämmchen, »ich hab es schon versucht, mich so sehr angestrengt, daß es weh getan hat. Wahrscheinlich habe ich eine Verstopfung.«
    Ich pflichtete ihr sofort bei. »Den Eindruck habe ich auch, und wenn nicht bald etwas kommt, dann muß ich Sie eben mit einer ganzen Schachtel Ex-Lax füttern, um es loszusprengen.«
    »Oh, ich denke, wenn ich noch ein bißchen warte, kommt es von selber«, sagte sie und lächelte mich an. Sie hatte damals natürlich keine Zähne mehr, und sie konnte ihr Gebiß nur dann tragen, wenn sie aufrecht in ihrem Stuhl saß, weil sonst die Gefahr bestand, daß sie hustete und es in den Hals bekam und daran erstickte. Wenn sie lächelte, sah ihr Gesicht aus wie ein Stück von einem alten Baumstamm mit einem morschen Astloch darin. »Sie kennen mich doch, Dolores - ich bin dafür, der Natur ihren Lauf zu lassen.«
    »Ich kenne Sie nur zu gut«, murmelte ich und wendete mich ab.
    »Was haben Sie gesagt?« fragte sie, so süß, daß man hätte glauben können, daß Zucker in ihrem Mund nicht schmilzt.
    »Ich habe gesagt, daß ich nicht hier herumstehen und darauf warten kann, bis Sie soweit sind«, sagte ich. »Ich habe zu tun. Wie Sie wissen, ist heute Putztag.« 
    »Ach, wirklich?« erwiderte sie, als hätte sie nicht vom Augenblick ihres Aufwachens am Morgen an gewußt, was für ein Tag es war. »Dann gehen Sie an die Arbeit. Wenn ich das Bedürfnis spüre, rufe ich Sie.«
    Das tust du ganz bestimmt, dachte ich, aber erst ungefähr fünf Minuten, nachdem es passiert ist. Aber das sagte ich nicht; ich ging einfach wieder hinunter.
    Ich holte den Staubsauger aus dem Schrank in der Küche, brachte ihn ins Wohnzimmer und schloß ihn an. Aber ich fing nicht sofort mit dem Saugen an; ich verbrachte erst ein paar Minuten mit Staubwischen. Ich hatte mir damals längst angewöhnt, mich auf meinen Instinkt zu verlassen, und jetzt wartete ich darauf - irgendetwas in meinem Innern würde mir sagen, daß der richtige Zeitpunkt gekommen war.
    Als dieses Ding in meinem Innern sich meldete und sagte, daß es so weit war, schrie ich Susy und Shawna zu, daß ich das Wohnzimmer saugen würde. Ich schrie so laut, daß ich glaube, die Hälfte der Leute unten im Dorf hat es ebenso deutlich gehört wie die
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