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Die Tuchhaendlerin von Koeln

Die Tuchhaendlerin von Koeln

Titel: Die Tuchhaendlerin von Koeln
Autoren: Karina Kuhlbach-Fricke
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mit Feuereifer. Bald konnte ich fließend lesen und geschwind schreiben, und der Umgang mit Zahlen, den Großvater seit diesem Tag Mutter und mich lehrte, schien mir wie ein herrliches, niemals langweiliges Spiel. Du lachst, Methildis. Von klein auf habe ich dich gelehrt, wie du viel leichter rechnen kannst mit diesen Zahlen, die fremdartig geschrieben werden, wenn sie auch das gleiche bedeuten wie die schwerfälligen Zahlen unserer übrigen Kaufleute. Aber für mich war das damals neu und eine großartige Erfahrung, so, als würde ein dichter Vorhang weggezogen und mir ein Ausblick auf bisher unbekannte Dinge geboten.
    Aber ich lernte auch, Stoffe zu unterscheiden und abzumessen, den Preis eines Ballens im Kopf zu überschlagen, die Qualität von Gewürzen, Mehl und Salz zu beurteilen, Einkaufs- und Verkaufspreise von Gürteln, Sattelzeug, Goldborten, Seidenbändern, später auch von Edelsteinen und Schmuckstücken sogleich zu erkennen.
    Jede Woche ging ich jetzt zweimal zu den Nonnen von St. Ursula. Die Äbtissin Gepa, Schwester unseres Erzbischofs Rainald von Dassel, sorgte dafür, daß ich dort in der lateinischen Sprache unterrichtet wurde, bis ich nicht nur die Texte in der Kirche verstand, sondern fließend lateinisch reden konnte.

    Großvater erzählte mir auch von fremden Ländern, die er bereist hatte, und wie sich die Gebräuche der Menschen dort von den unsrigen unterschieden. Er konnte mir viel über die Geschichte meiner Heimatstadt berichten, auch wußte er vieles über die Geschichte der Juden zu sagen. Er beherrschte ein halbes Dutzend Sprachen, und es machte ihm Freude, mich auch darin zu unterrichten.
    Mit all diesem Wissen sog ich mich voll wie ein Schwamm - es machte mich glücklich. Wenn mein Kopf zu
sehr brummte, ging ich und spielte mit Hildebrand. »Wußtest du schon, daß …«, sagte ich zu ihm und wiederholte dann meine letzte Lektion. Dann konnte es sein, daß er nickte oder auch den Kopf schüttelte, oder er gab einen Ton von sich, den ich als Zustimmung oder Ablehnung deuten konnte. Und so war es recht.

    Einmal allerdings, ich war vielleicht neun Jahre alt, hatte Hildebrand keine Lust, meinen Erläuterungen zu lauschen. Seine Aufmerksamkeit galt einem kleinen Käfer, der über den Boden krabbelte. Ich sprach etwas lauter, aber Hildebrand kümmerte sich nicht um mich. Das ärgerte mich, und ich stampfte auf dem Boden auf und rief: »Wenn du nichts lernen willst, dann bleibst du eben dumm!« Im gleichen Augenblick wurde ich hart am Arm gepackt. Mutter stand vor mir, ihre Augen sprühten vor Zorn. Ohne ein Wort führte sie mich aus der Kammer und in ihr Kontor. Dann ließ sie mich los und betrachtete mich eine Weile schweigend, bis sie sich selbst wieder gefaßt hatte.
    »Sophia«, sagte sie dann mit kalter Stimme, »du weißt ja wohl, daß du jetzt Schläge verdient hast.« Mir stockte der Atem. Noch niemals hatte mich jemand geschlagen. Aber ich schämte mich maßlos: Dafür, daß ich meinen armen Bruder beschimpft hatte, und dafür, daß Mutter es auch noch gehört hatte. Also nickte ich tapfer. Ich wußte nicht, wohin man Schläge bekam, also streckte ich beide Hände vor, um die Züchtigung entgegenzunehmen. Aber Mutter fuhr fort: »Ich schäme mich für dich, daß du einen armen kranken Menschen verächtlich behandelst. Nun glaube ich aber nicht, daß Schläge irgendetwas daran bessern.«
    Ich weinte. »Mutter, es tut mir ja so leid. Ich habe Hildebrand doch lieb. Ich will es niemals wieder tun.«
    Aber Mutter war noch nicht fertig mit mir.
    »Das ist immerhin schon etwas; aber du mußt auch
begreifen, daß du dich selber nicht besonders klug verhalten hast. Lernen und Wissen ansammeln ist eine gute Sache; aber das anderen Menschen unter die Nase zu reiben ist ausgesprochen dumm, weil es dir Feinde schafft. Ganz besonders, wenn ein Mädchen oder eine Frau Männern gegenüber mit ihrem Wissen protzt. Erinnerst du dich an unsere Gespräche, ob Männer klüger sind als Frauen? Ich habe dir im Vertrauen gesagt, daß sie es meiner Meinung nach nicht sind; aber hast du je gehört, daß ich es vor anderen Leuten hinausposaunt hätte?
    Merke dir: Klugheit ist eine Sache, Macht ist eine ganz andere. Es wäre dumm, nicht zu sehen, daß die meiste Macht bei den Männern liegt.«
    Ich sah sie fragend an. »Macht - was ist das?«
    »Männer können ihre Frauen schlagen und sie so zwingen, zu tun, was sie wollen.«
    »Wie denn das? Hildebrand schlägt mich nie.«
    Aber Mutter war es
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