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Die Korallentaucherin

Die Korallentaucherin

Titel: Die Korallentaucherin
Autoren: Di Morrissey
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Verlegenheit brachte, wenn nicht gar erbitterte. Als Christina etwas darüber äußerte, dass sie sich eine bessere Stelle suchen wolle, vielleicht in einem Lokal, ging Jennifer das Problem von einer anderen Seite an.
    »Mum, ich kenne mich eigentlich nur mit den Grundlagen aus, ich bin sicher, du lernst es viel schneller als ich. Dann kannst du dir die Feinheiten aneignen und mir alles beibringen.«
    Jennifer war sich ihrer Verantwortung für ihre Mutter bewusst. Sie musste die Lücke füllen, die ihr Vater und ihr Bruder hinterlassen hatten. Sie ging nicht gern in die Schule, ahnte aber, dass harte Arbeit in allen Fächern ihr eine Art Fluchtweg öffnete. Die Lehrer vermittelten ihr die Vorstellung, dass das Lernen nur einem Ziel diente: einen Beruf zu finden. Die Freude am Lernen und am Recherchieren in bestimmten Fächern wurden als sinnloses Vergnügen abgetan. Jennifer wurde sich eines unausgesprochenen, subtilen Drucks bewusst, der sie in akzeptable Berufe wie den der Lehrerin, der Krankenschwester oder der Buchhalterin drängen sollte. Andere Mädchen wünschten sich Tätigkeiten, bei denen sie Freunde finden und Geld sparen konnten, bis zu dem Zeitpunkt, da sie eine Familie gründeten.
    Der einzige Ausweg aus der profanen Welt kleinstädtischer Eifersüchteleien und begrenzter Zukunftsaussichten bot sich Jennifer in Nächten, wenn der Traum kam. Dann schwebte sie wieder in der fremdartig schönen, von unvorstellbaren Lebewesen bevölkerten Welt. Diese lebten in einer kunstvollen Architektur aus bunten Felsen und phantastischen Gärten. Und um sie herum breitete sich die große Bläue des unsichtbaren Meeres aus.

[home]
    Kapitel zwei
    Country Victoria, 1992
    Wellen und Whirlpools
    C hristina und Jennifer verbrachten diese heißen Weihnachtsferien so, wie es inzwischen zur Norm geworden war: Sie schwitzten in ihrem Häuschen und hörten die Nachbarn in ihrem Plastikpool planschen oder Kinder auf der anderen Straßenseite auf dem braunen Rasen im Vorgarten unter dem Wasserstrahl kreischen. Am Abendbrottisch saß wieder einmal ein fremder Mann neben ihrer Mutter, doch Jennifer hatte es mittlerweile aufgegeben, nett zu solchem Herrenbesuch zu sein. Sie war höflich, ohne ermutigend zu sein. Und bald gaben die Besucher es auf, mit dem in sich gekehrten siebzehnjährigen Mädchen plaudern zu wollen.
    Jennifer hatte ihre Lektion ein paar Jahre zuvor gelernt, als zu ihrer Verwunderung ein Mann auf eine Tasse Tee hereinschaute. Ein paar Tage später brachte er Christina nach der Arbeit in seinem Wagen nach Hause. Jennifer, vierzehn Jahre alt, fand die Vorstellung, dass ihre Mutter einen Freund hatte, aufregend. Als er das nächste Mal kam, um Christina zum Abendessen im Bowling Club abzuholen, hatte Jennifer sich hübsch angezogen, das Haar gebürstet, hellrosa Lippenstift und etwas Rouge aufgelegt und ihre Nägel im gleichen Pinkton lackiert. Sie plauderte angeregt mit Mr.Teddich.
    Christina war nicht erfreut; ihr Gesicht war vielmehr angespannt, gerötet und böse. »Du gehst nicht mit uns aus«, zischte sie Jennifer in der Küche zu.
    »Ich weiß. Ich muss noch Hausaufgaben machen, und du hast mir mein Abendessen schon bereitgestellt«, sagte sie erstaunt.
    Ihre Mutter deutete auf Jennifers geblümtes, bestes Kleid. »Und das da kannst du beruhigt wieder ausziehen, und zwar sofort. Ich weiß, was du im Sinn hast. Geh in dein Zimmer, zieh dich um und wasch dir die Farbe vom Gesicht. Und du kommst erst wieder nach unten, wenn wir weg sind.«
    »Aber ich muss Mr.Teddich doch auf Wiedersehen sagen.«
    »Du hast weiß Gott genug gesagt, mein Fräulein.« Ihre Mutter rauschte aus der Küche und schloss mit Nachdruck die Tür hinter sich.
    Jennifer war gekränkt und ließ die Unterhaltung mit dem Freund ihrer Mutter immer und immer wieder Revue passieren, versuchte zu ergründen, was, um alles in der Welt, es war, das ihre Mutter so verärgert hatte. Das Thema wurde nie wieder angesprochen, und Mr.Teddich ließ sich nie wieder blicken. Allerdings war er Vertreter und vielleicht nur auf der Durchreise gewesen. Jennifer war traurig und beschloss, das nächste Mal, wenn ihre Mutter einen Freund mitbrachte, noch netter und viel vorsichtiger zu sein.
    Kurze Zeit später hörte Jennifer Christina mit Tante Vi telefonieren. Sie sagte, sie würde nie wieder heiraten. Kein Mann wäre es wert, um seinetwillen ihr Leben zu ändern. »Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott«, erklärte Christina ihrer Schwägerin. Der Sinn lag auf der
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