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Die Korallentaucherin

Die Korallentaucherin

Titel: Die Korallentaucherin
Autoren: Di Morrissey
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auf der Kante eines flachen harten Betts, und eine Dame betupfte die Kratzer an ihren Beinen. Tränen liefen ihr über die Wangen, und Jennifer fragte sich, warum sie weinte. Schließlich waren es doch
ihre
Beine, die so brannten.
    Sie wurde nach draußen geführt und erschrak, als sie ihre Mutter zusammengesunken in einem Sessel sitzen sah. Sie umschlang ihren Oberkörper mit den Armen, hielt den Kopf gesenkt, und ihre Schultern zuckten von dem Schluchzen, das ihren ganzen Körper erschütterte. Ihr Vater stand neben ihr, eine Wolldecke über die nassen Schultern gelegt. Sein Gesicht wirkte grau und krank. Jennifer lief zu ihm, doch er schob sie von sich. »Geh zu deiner Mutter.«
    Jennifer hatte Angst, als sie ihre Mutter so sah. »Ist Mummy krank?«
    Ihre Mutter griff mit geschlossenen Augen nach ihr, ein Arm ruderte blindlings in der Luft, als wollte er die Stunde zurückholen, als ihre Familie noch vollständig war. »Jennifer …« Ihre Stimme war rauh und heiser, und Jennifer wich einen Schritt zurück, aus Angst, etwas Böses getan zu haben.
    »Die Mutter hat eine Spritze bekommen; dem Vater geben Sie am besten ein Beruhigungsmittel. Die Leute von nebenan haben angeboten, Jennifer zu sich zu nehmen, bis … sie ihn gefunden haben«, sagte jemand.
    Ein heftiger Schmerz durchzuckte Jennifer, brannte unter ihren Fußsohlen und schoss lodernd durch ihren kleinen Körper bis in ihren Kopf, und wieder hörte sie das wütende Brüllen des Ozeans an den Felsen. Sie wusste, dass Teddy noch da draußen war, ihr entrissen. »Teddy!«, schrie sie.
    Sie hielten ihre rudernden Arme und Beine fest, und sie versuchte wild, sich zu befreien. »Ich will weg … ich will bei Teddy sein.« Die Vorstellung, dass er sich in jener wunderschönen blauen Welt unter dem Meeresspiegel befand, brach ihr das Herz. Sie hatten doch immer alles gemeinsam unternommen.
    Die Krankenschwester kniete sich neben sie. »Dein Bruder, Teddy, er ist im Himmel, Schätzchen. Er ist bei den Engeln …«, sagte sie, und ihr Gesicht war noch nass vom Weinen.
    Jennifer starrte die Frau an, ihr Schreien ließ nach und machte einer verächtlichen Miene Platz. »Teddy ist nicht bei den Engeln. Er ist bei den Fischen.«
    Sie wurde eilig weggebracht. Sie fuhren nach Hause. Die Tage vergingen in einem trüben Dunst. Ihre Mutter blieb im Bett, und wenn sie wach war, weinte sie oder lag nur da und starrte an die Wand, ohne etwas zu sagen. Ihr Vater war wie ein Schatten.
    Tante Vi, Christinas Schwägerin, die aus Sydney gekommen war, kochte und putzte, und Fremde kamen und gingen. Ihr Vater blieb von Tagesanbruch bis in die Dunkelheit draußen auf der Farm. Er aß und schlief auf der Veranda. Doch Jennifer wusste, dass er auf der Farm nicht arbeitete. Sie sah ihn ziellos umherwandern oder einfach nur dasitzen oder an einem Zaun lehnen.
    Irgendwann kam auch Tante Vis Mann Don, Christinas Bruder, und sprach mit ihrem Vater.
    Dann waren sie allein. Nur zu dritt. Ihre Mutter tat in Haus und Garten das, was sie schon immer getan hatte. Doch ihr Schritt war langsam, ihre Bewegungen lethargisch, ihr Gesicht hager und traurig. Sie blickte selten jemandem in die Augen, vermied jeden Kontakt. Besonders mit Jennifers Vater. Sie bürstete Jennifers Haar, stellte die Mahlzeiten auf den Tisch und wusch Wäsche, aber sie las ihr keine Geschichten vor und brachte sie nicht zu Bett. Jennifer schlüpfte still unter die Decke, drückte Teddys geliebte Strick-Schildkröte an sich und vergrub das Gesicht in den Kissen, damit niemand ihr einsames Weinen hörte.
     
    Eines Nachmittags kam sie unverhofft in die Küche und fand ihren Vater vor, der beim Herd stand. Sein Hut lag auf dem Boden, seine Arme hingen schlaff herab, den Kopf hatte er in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen. Ihre Mutter boxte auf ihn ein, hieb ihm mit zu Fäusten geballten Händen auf die Brust, und er stand da und machte keinerlei Anstalten, dem wilden Angriff auszuweichen. Sein Gesicht war schmerzlich verzogen, jedoch nicht wegen der Schläge seiner verzweifelten Frau.
    Christina schrie: »Zur Hölle mit dir! Du hast ihn umgebracht! Du hast ihn umgebracht! Du hast mir meinen Jungen genommen. Ich hasse dich, hasse dich, hasse dich …«
    Jennifer wollte ihre Mutter daran hindern, ihren Vater so zu schlagen, doch sie drehte sich um und rannte und rannte, bis ihre Beine sie nicht mehr trugen. Da warf sie sich auf den Boden und hieb auf die Erde, wie ihre Mutter auf ihren Vater eingedroschen hatte. Sie
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