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Die Kameliendame

Die Kameliendame

Titel: Die Kameliendame
Autoren: Alexandre Dumas
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werden darin die Ursache und die Entschuldigung für das finden, was zwischen uns vorgefallen ist. Julie ist gut zu mir. Wir sprechen oft von Ihnen. Sie war bei mir, als Ihr Brief ankam, und als wir ihn lasen, haben wir geweint. Sie war beauftragt, auch wenn ich keine Nachricht von Ihnen erhalten hätte, Ihnen die Aufzeichnungen zu übergeben, sobald Sie nach Frankreich zurückkehren. Sie brauchen mir nicht dafür zu danken. Die tägliche Erinnerung an die einzig glückliche Zeit meines Lebens bedeutet mir so viel! Wenn Sie in dem Tagebuch die Entschuldigung für Vergangenes finden, so bedeutet das für mich eine immer neue Erleichterung.
Ich würde Ihnen so gerne einige Kleinigkeiten hinterlassen, die mich immer wieder an Sie erinnern. Aber bei mir ist alles gepfändet, und mir gehört nichts mehr. Begreifen Sie, mein Freund? Ich werde sterben, und von meinem Schlafzimmer aus höre ich die Schritte des Wächters im Salon, den meine Gläubiger beauftragt haben aufzupassen, daß man nichts forttrage und damit mir nichts bleibe, für den Fall, daß ich nicht sterbe. Ich kann nur hoffen, daß man mit der Auktion bis nach meinem Tode wartet.
Oh, die Menschen sind mitleidslos! Oder vielmehr, Gott ist gerecht und unnachsichtig.
Nicht wahr, lieber Freund, Sie werden zu meiner Auktion kommen, und Sie werden das eine oder andere für sich kaufen. Denn wenn ich nur den kleinsten Gegenstand für Sie zur Seite legte, und man würde es bemerken, so wäre man imstande, Sie wegen Unterschlagung gepfändeter Sachen zu verklagen.
Es ist ein trauriges Leben, aus dem ich scheide! Möge Gott mir gnädig sein und mir erlauben, Sie, bevor ich sterbe, noch einmal zu sehen. Auf jeden Fall jedoch: Adieu, mein Freund. Verzeihen Sie, daß ich nicht länger schreibe. Aber die mich gesund machen wollen, rauben mir alle Kraft, weil sie mir so oft zur Ader lassen, und meine Hand verweigert weitere Dienste. Marguerite Gautier.«
Die letzten Worte waren wirklich kaum mehr lesbar. Ich gab Armand den Brief zurück, der offenbar, während ich die Worte auf dem Papier las, in Gedanken mitgelesen hatte, denn er sagte, als er den Brief wieder an sich nahm: »Wer würde je glauben, daß ein ausgehaltenes Mädchen dies geschrieben hat?«
Tiefbewegt von seinen Erinnerungen starrte er eine Weile auf die Schriftzüge des Briefes und preßte ihn dann an die Lippen. »Wenn ich bedenke, daß sie starb, ohne daß ich sie wiedersah, daß ich sie nie wiedersehen werde! Wenn ich bedenke, daß sie mehr für mich tat, als eine Schwester je für mich tun könnte, dann kann ich mir nicht verzeihen, daß ich sie so sterben ließ. Tot! Gestorben, in Gedanken an mich, mit meinem Namen auf den Lippen! Arme, geliebte Marguerite!« Armand ließ seinen Gedanken und seinen Tränen freien Lauf, reichte mir die Hand und fuhr fort:
»Man wird mich sehr kindisch finden, weil ich diese Tote so innig beweine. Aber nur, weil man nicht wissen kann, wieviel
Leid ich dieser Frau zugefügt habe, wie grausam ich zu ihr war und wie gut und entsagend sie dagegen gewesen ist! Ich glaubte, ihr etwas verzeihen zu müssen. Heute halte ich mich ihrer Verzeihung nicht für würdig. Oh, ich würde zehn Jahre meines Lebens geben, wenn ich eine Stunde zu ihren Füßen weinen dürfte.«
Es ist immer schwer, jemanden zu trösten, dessen Kummer man nicht kennt. Aber der junge Mann war mir so sympathisch, so freimütig sprach er zu mir von seinem Schmerz, daß ich glaubte, meine Worte könnten ihm nicht gleichgültig sein. Ich sagte deshalb: »Haben Sie keine Eltern, keine Freunde? Fassen Sie Mut, gehen Sie zu ihnen, sie werden Sie trösten, denn ich kann Sie nur bedauern.«
»Es ist wahr«, sagte er, erhob sich und ging mit großen Schritten in meinem Zimmer auf und ab, »ich langweile Sie. Verzeihen Sie, aber ich bedachte nicht, daß mein Schmerz Ihnen wenig bedeuten muß, daß ich Sie mit Dingen belästige, die Sie nicht interessieren können,«
»Sie haben mich falsch verstanden. Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung. Ich bedauere nur mein Unvermögen, Ihren Schmerz zu lindern. Wenn meine Gesellschaft und die meiner Freunde Sie zerstreuen kann, wenn Sie mich in irgendeiner Weise brauchen können, so seien Sie überzeugt, daß es mir eine Freude sein wird, Ihnen behilflich zu sein.« »Verzeihen Sie, verzeihen Sie«, antwortete er, »Kummer macht überempfindlich. Lassen Sie mich noch einige Minuten hier verweilen, bis ich meine Tränen getrocknet habe. Die Gassenbuben sollen mich nicht wie ein
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