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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge
Autoren: Dan Simmons
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Gesicht, die Wangenknochen, über denen sich die teigige Haut spannte, die großen, aber tief in den Höhlen liegenden Augen, die Lippen, die durch einen auf Dauer verkrampften Muskel so sehr nach unten gezogen wurden, dass man es nicht einmal mehr als zynisches Lächeln bezeichnen konnte, und den Haaransatz, der nicht zurückwich, sondern förmlich von Strahlung verwüstet war, und hatte den Eindruck, als säße er neben einem Mann, der jahrelang krank gewesen war. Und doch stellte der Konsul überrascht fest, dass hinter der Maske verborgenen Leids das körperliche Echo des Jungen im Mann erhalten geblieben war: die leisesten Überbleibsel eines rundlichen Gesichts, heller Haut und eines sanften Mundes, der einem jüngeren, gesünderen, nicht so zynischen Lenar Hoyt gehört hatte.
    Neben dem Priester saß ein Mann, dessen Bild vor einigen Jahren den meisten Bewohnern der Hegemonie bekannt gewesen
war. Der Konsul fragte sich, ob die kollektive Erinnerungsspanne im Weltennetz heute noch so kurz war wie damals, als er selbst noch darin gelebt hatte. Vermutlich noch kürzer. Wenn ja, war Oberst Fedmahn Kassad, der sogenannte Schlächter von Süd-Bressia, wahrscheinlich inzwischen weder berühmt noch berüchtigt. Für die Generation des Konsuls aber und alle, die am langsamen, gemächlichen Rand der Ereignisse lebten, war Kassad jemand, den man nicht so leicht vergaß.
    Oberst Fedmahn Kassad war groß – fast so groß, dass er dem zwei Meter messenden Het Masteen in die Augen sehen konnte  – und trug das Schwarz von FORCE, allerdings ohne sichtbare Insignien oder Rangabzeichen. Die schwarze Uniform hatte seltsame Ähnlichkeit mit der Robe von Pater Hoyt, aber darauf beschränkten sich die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Männern. Im Gegensatz zu Hoyts verbrauchtem Äußeren war Kassad braungebrannt, eindeutig durchtrainiert und gertenschlank, mit Muskelsträngen, die sich an Schultern, Unterarmen und Nacken wölbten. Die Augen des Oberst waren klein, dunkel und so rundum aufmerksam wie die Linsen einer primitiven Videokamera. Sein Gesicht bestand nur aus Kanten: Schatten, Ebenen und Facetten. Es war nicht hager wie das von Pater Hoyt, sondern wie aus altem Stein gemeißelt. Ein dünner Streifen Bart am Kiefer entlang betonte sein scharfgeschnittenes Äußeres so deutlich wie Blut auf einer Messerklinge.
    Die kraftvollen, langsamen Bewegungen des Oberst erinnerten den Konsul an einen auf der Erde geborenen Jaguar, wie er ihn einmal vor Jahren in einem privaten Zuchtschiff-Zoo auf Lusus gesehen hatte. Kassads Stimme war leise, aber dem Konsul entging nicht, dass selbst das Schweigen des Oberst die Aufmerksamkeit auf sich zog.
    Der lange Tisch war größtenteils verwaist, die Gruppe am
einen Ende versammelt. Gegenüber von Fedmahn Kassad saß ein Mann, der als der Dichter Martin Silenus vorgestellt wurde.
    Silenus schien das genaue Gegenteil des Oberst zu sein. Wo Kassad schlank und groß war, war Martin Silenus klein und sichtlich nicht in Form. Und im Gegensatz zu den wie aus Stein gemeißelten Zügen Kassads war das Gesicht des Dichters so beweglich und ausdrucksvoll wie das eines irdischen Primaten. Seine Stimme war ein lautes, profanes Dröhnen. Der Konsul fand, dass Martin Silenus mit seinen rötlichen Wangen, dem breiten Mund, den buschigen Brauen, den spitzen Ohren und den sich ständig in Bewegung befindlichen Händen etwas beinahe freundlich Dämonisches an sich hatte; und seine Finger waren so lang, dass sie einem Konzertpianisten hätten gehören können. Oder einem Würger. Das silberne Haar des Dichters war zu unebenmäßigen Locken geschnitten.
    Martin Silenus schien Ende fünfzig zu sein, aber dem Konsul fielen die Blaufärbungen an Hals und Handflächen auf, daher vermutete er, dass der Mann mehr als ein paar Poulsen-Behandlungen bekommen hatte. Silenus’ wahres Alter konnte irgendwo zwischen neunzig und einhundertfünfzig Standardjahren liegen. Und falls er der oberen Altersgrenze näher lag, wusste der Konsul, war es gut möglich, dass der Dichter dem Wahnsinn verfallen war.
    So lärmend und animiert Martin Silenus auf den ersten Blick wirkte, so eindrucksvoll intelligent zurückhaltend wirkte der nächste Gast am Tisch. Sol Weintraub blickte auf, als er vorgestellt wurde, und der Konsul sah den kurzen grauen Bart, die gefurchte Stirn und die traurigen, strahlenden Augen des bekannten Gelehrten. Der Konsul hatte die Geschichten vom Ewigen Juden und dessen hoffnungsloser Suche gehört, musste
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