Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Herren von Hermiston

Titel: Die Herren von Hermiston
Autoren: Robert Louis Stevenson
Vom Netzwerk:
die üblichen Kinderkrankheiten den Jungen heimsuchten, pflegte er sich täglich nach ihm zu erkundigen und ihm täglich einen Besuch abzustatten, wobei er das Krankenzimmer mit einem fürchterlichen, humoristisch sein wollenden Ausdruck betrat, pflichtgemäß ein paar Scherze vom Stapel ließ und sich zu des Patienten Erleichterung sehr bald wieder entfernte. Einmal, als die Gerichtsferien in einen gelegenen Moment fielen, ließ Mylord seinen Wagen vorfahrenund brachte das Kind persönlich nach Hermiston, dem gewöhnlichen Erholungsort. Es ist anzunehmen, daß er sich in diesem Falle ganz besonders um Archie sorgte, denn jene Reise stand einzig da in des Jungen Gedächtnis, da der Vater ihm von Anfang bis zu Ende und mit allen Einzelheiten drei authentische Mordfälle auseinandersetzte. Archie durchlief den üblichen Bildungsgang der Edinburger Jugend: das Gymnasium und die Universität, und Hermiston sah ihm von ferne zu, oder richtiger blickte hinweg, ohne auch nur ein schwaches Interesse für seine Fortschritte zu heucheln. Täglich nach dem Diner wurde Archie auf ein Zeichen zu ihm hereingeführt, erhielt eine Handvoll Nüsse und ein Glas Portwein und wurde einer sardonischen Musterung sowie einem sarkastischen Verhör unterzogen. »Nun, junger Mann, was haben wir heute gelernt?« lautete Mylords gewöhnliche Begrüßung, und zugleich ging er dazu über, ihm auf Juristenlatein allerlei Fragen zu stellen. Für ein Kind, das sich gerade durch seinen Corderius durchackerte, erwiesen Papinian und Paul sich als unüberwindlich. Aber Papa hatte alles andere selbst verlernt. Er war nicht etwa hart gegen den angehenden kleinen Gelehrten, da er sich vom Richterstuhl her einen unermeßlichen Vorrat an Geduld angeeignet hatte, aber ebensowenig gab er sich Mühe, seine Enttäuschung auszudrücken oder zu verbergen. »Na, du hast ja noch eine nette Strecke Wegs vor dir!« – so ungefähr lautete sein Kommentar, und in zwei Fällen von vier versank er sogleich von neuem in seine Gedanken, bis die Stunde des Schlafengehens schlug und er Karaffe und Glas ergriff und sich in sein Hinterzimmer mit dem Blicküber die Meadows zurückzog, um dort noch bis tief in die Nacht hinein seine Akten zu bearbeiten. Im ganzen Richterkollegium gab es keinen beschlageneren Menschen; sein Gedächtnis war schier wunderbar, obwohl lediglich auf juristische Dinge beschränkt; galt es extempore zu arbeiten, so kam ihm keiner gleich, und doch war niemand so sorgfältig vorbereitet wie er. Wenn er so die Nächte durchwachte oder bei Tisch die Gegenwart seines Sohnes vergaß, schöpfte er ohne Zweifel tief aus verborgenen Genüssen. Gleich ihm sich völlig einer einzigen intellektuellen Übung hingeben bedeutet den sicheren Erfolg im Leben; und vielleicht vermögen nur die Jurisprudenz und die höhere Mathematik ohne Reaktion eine derartige Hingabe zu erzeugen und ohne Erregungen so unerschöpflichen Lohn zu spenden. Diese Atmosphäre gediegensten Fleißes war der beste Teil von Archies Erziehung. Sicherlich bot sie ihm nicht die leisesten Reize; sicherlich stieß sie ihn eher ab und bedrückte ihn. Und doch war sie allgegenwärtig, unauffällig wie das Ticken einer Uhr, ein dürres Ideal, ein unschmackhafter Stimulans in des Knaben Leben.
    Aber Hermiston war nicht völlig aus einem Holze. Er war auch ein gewaltiger Zecher, der bis zum Morgengrauen beim Wein zu sitzen vermochte und sich dann direkt von der Tafel weg mit fester Hand und klarem Kopf auf den Richterstuhl begab. Nach der dritten Flasche verkündete er in immer größer werdenden Lettern den Plebejer; der breite, gewöhnliche Akzent wurde breiter, der gemeine, schmutzige Humor noch gröber; er wirkte jetzt weniger schreckenerregend, aber unendlich viel abstoßender.Nun hatte aber der Junge von Johanna Rutherford ein mimosenhaftes Zartgefühl geerbt, das sich nur schlecht mit einer Anlage zum Jähzorn paarte. Auf dem Spielplatz unter seinen Altersgenossen vergalt er einen gemeinen Ausdruck mit einem Hieb, an seines Vaters Tisch (als die Zeit kam, da er an dessen Gelagen teilnehmen mußte) erbleichte er und versank in angeekeltes Schweigen. Von allen Gästen, die er dort traf, vertrug er nur einen einzigen: David Keith Carnegie, Lord Glenalmond. Lord Glenalmond war hochgewachsen und hager mit schlanken, zarten Händen; man hatte ihn häufig mit Forbes Statue von Cullodon im Parlamentshaus verglichen, und seine blauen Augen hatten, selbst über die Sechzig hinaus, sich noch etwas von dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher