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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Jane Borodale
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verqualmte, rubinrote, beißende Luft zittert vor Stille.
    »Bist du verletzt? Wo bist du verletzt? Was hast du getan?«, rufe ich, und der schwefelhaltige, rote Rauch fängt sich in meiner Kehle. »Es ist vorbei! Es brennt nicht!« Ich schüttle ihn. Gott sei Dank scheint er nicht verletzt zu sein. Mühsam steht er auf und hüpft verzweifelt von einem Bein aufs andere. Tränen bahnen sich ihren Weg durch sein geschwärztes Gesicht. Ein seltsames Geräusch kommt von irgendwoher aus der Nähe. Es stammt nicht von den qualmenden Überresten der Rakete. Ich sehe mich um. Als ich merke, dass Joe Thomazin die Geräusche verursacht, stockt mir einen Augenblick lang der Atem. Angestrengt lausche ich.
    »Ich habe nichts, ich habe nichts«, sagt er immer wieder mit heiserer, dünner, keuchender Stimme. »Ich habe nichts … nichts angefasst.« Seine schwarzen Lippen bewegen sich kaum, als er die Worte hervorstößt.
    »Du hast nichts angefasst?«, frage ich erstaunt.
    »Nichts angefasst«, wiederholt er. Und ich glaube ihm. Ich hebe ihn hoch, und er klammert sich an mich. Seine dünnen Knie drücken sich in meine Seite, und sein Kopf lehnt an meinem Hals. Sein ganzer Körper bebt, weil er so heftig schluchzt, auch noch lange nachdem das Weinen aufgehört hat. Es ist so ruhig und so trostlos. Ich sinke mit ausgestreckten Beinen auf die angebrannten Holzdielen und halte Joe Thomazin gegen meinen dicken Bauch gedrückt. Meine Ohren klingen. Immer wieder höre ich das Dröhnen der Explosion, das Klirren zerbrechender Glasgefäße und das Scheppern umherrollender Werkzeuge. Die Anspannung in der Luft lässt nach, und der rote Rauch um uns herum hat sich aufgelöst wie Nebel in der Sonne. Er hinterlässt kaum eine Spur, als hätte es ihn nie gegeben. Durch das zerstörte Fenster sehe ich Mary Spurren aus der Spülküche kommen und über den Hof laufen.
    »Agnes!«, keucht sie. »Bist du da drin? Ich hab gehört, wie …« Ihr großer Kopf erscheint vor dem Fenster und starrt hinein. »Was ist los? Ich hab gehört … ich dachte, es ist was Schlimmes passiert. Ich dachte … ich dachte, wir wären in die Luft geflogen.« Ihre Schritte knirschen auf den Glasscherben. »Ist es vorbei?« Sie hustet. »Solltest du nicht besser rauskommen?«, fragt sie ängstlich. »Du blutest im Gesicht.«
    »Es ist verloren«, sage ich und bleibe regungslos auf dem Boden sitzen.
    »Verloren? Was denn?«, fragt sie verdutzt.
    »Das Wissen ist verloren, Mary … alles weg. Er hat es mir nicht anvertraut.«
    »Was nicht anvertraut?«
    »Er hat die Farbe entdeckt. Er wusste, wie man sie herstellt. Er hat sein kostbares Geheimnis nicht mit mir geteilt.«
    Er hat es mit ins Grab genommen, denke ich. Und die Grillen in seinem Hof zirpen weiter, und frische Sommerluft strömt herein.

41

    Ich wache immer früher auf, je näher die Geburt des Kindes rückt. Heute finde ich gar keinen Schlaf und kann nicht still liegen. Deshalb stehe ich auf, ziehe mich an und gehe hinunter ins Studierzimmer. Dort setze ich mich beim ersten Tageslicht neben die offenen Fensterläden an Mr. Blacklocks Schreibtisch. Als ich ein paar Papiere durchsehe, die dort liegen, stelle ich fest, dass noch eine weitere Bestellung bearbeitet werden muss. Gestern habe ich überraschenderweise ein förmliches Beileidsschreiben von Mr. Torré erhalten, in dem er mir erneut seine Unterstützung anbietet. Er würde sich freuen, dem Geschäft in dieser schwierigen Zeit von Nutzen sein zu können. Die Welt ist doch nicht so schlecht.
    Lange bevor die Sonne aufgeht, beginnt die Morgendämmerung den Himmel rot zu färben, und eine Amsel singt draußen auf der Linde. Das Gewicht des Kindes in mir verlagert sich, als es aufwacht. Schließt ein ungeborenes Kind die Augen, wenn es schläft? Ich stelle mir vor, wie sein Gesicht aussehen könnte. Manchmal tritt es mir so fest gegen die Rippen, dass ich nicht mehr richtig atmen oder still sitzen kann, ich muss aufstehen und auf und ab gehen. Natürlich trage ich mein enges Mieder nicht mehr.
    Ich denke an diese Raketenköpfe, die leuchtend rotes Feuer ausgestoßen haben. Was für eine Verschwendung ihrer Schönheit, was für eine Verschwendung von Wissen ein plötzlicher Tod sein kann, als würde man etwas Lebendiges einfach auf trockener Erde wegschütten. Wie soll ich ohne Mr. Blacklocks Anleitung hier zurechtkommen? Ich weiß nicht genug. Ich hoffe, unser Bestand reicht noch eine Weile.
    Ich gehe zum Regal, nehme ein Buch heraus und schlage es
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