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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Jane Borodale
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Wegduckens, gleichgültig, ob wir den Schlag verdient haben oder nicht.
    »Das passiert, wenn man ein Mädchen verwöhnt«, lautet der unerwünschte Kommentar meines Vaters von der Bank vor dem Feuer, wo er sich gerade die Stiefel auszieht. Gut, dass er nichts von den Löffeln voll Honig weiß, denke ich. Er war schon ungehalten genug, als die Frau des Pfarrers mir sagte, dass ich eine Schulbildung bekommen sollte.
    »Schule?«, hat er geschrien. »Das wird uns hübsch satt machen, nicht wahr? Du wirst in keine Schule gehen, von der ich weiß!«
    Also half mir die Pfarrersfrau stattdessen, sonntags nach der Kirche lesen zu lernen, oder auch freitags, wenn sie ein wenig Zeit hatte. Ich mochte die Wörter, die in den Zeitungen standen, die sie mir auslieh, auch die Wörter in der Bibel. Es gefiel mir, wie man mit Worten Dinge richtig beschreiben konnte. »Als Nächstes musst du schreiben lernen, Agnes«, hat die Pfarrersfrau gesagt. »Du bist ein gelehriges und gescheites Mädchen, du könntest Lehrerin werden.« Aber dann, nach fünf Jahren des Wartens und Hoffens, wurde sie endlich schwanger und hatte keine Zeit mehr, mir zu helfen.
    * * *
    Wir warten eine kurze Weile auf Mrs. Mellin, aber natürlich kommt sie nicht. Als wir dann zu Mutton’s Farm gehen, um den Martinstag zu feiern, ist es so dunkel, dass man nur ein paar Meter weit sehen kann. Die Laterne, die mein Vater trägt, spendet nur wenig Helligkeit, und die feuchte Luft bildet einen Kranz aus Nebel und Licht. Das Geräusch unserer Stimmen wird seltsam zu uns zurückgeworfen. Lil und ich klammern uns während des Gehens aneinander und strecken die freien Hände in die Finsternis aus – es ist, als würden wir gemeinsam schlafwandeln. Williams Stimme plappert ununterbrochen irgendwo hinter uns in der Dunkelheit.
    Einmal im Jahr gibt Mr. Fitton ein großes Fest, um uns bei Laune zu halten, damit die Pachtzahlungen erfreulich fließen und unsere Arbeitskraft jederzeit zur Verfügung steht. Mein Bruder Ab sagt, dass Mr. Fitton sein inneres Auge immer auf Mariä Verkündigung und Michaeli gerichtet habe, wenn die Vorteile der Verpachtung von Land in der angenehmen Form von Gold und Guineen sichtbar werden. Er könne es sich leisten, vom Schlachter ein fettes Schaf über einem Feuer aus Obstbaumholz grillen zu lassen und uns mit Gewürzkuchen vollzustopfen, während die hübschesten Mädchen schäumendes Ale in unsere Becher einschenken, sagt er. Mr. Fitton wolle seinen Arbeitern und Pächtern Honig um den Bart schmieren, um uns mit einem heimlichen, altertümlichen Gefühl der Dankbarkeit an sich zu binden. Wenn wir die große Scheune erreichen, wird mein Bruder Ab die Leute betrachten, die das Essen in sich hineinschaufeln, und verächtlich ausspucken.
    »Sobald der Bauch gefüllt ist, schläft der Wille«, sagt er immer.
    Mein Bruder Ab ist in diesen Tagen ein Ausbund von Wut. Er ist wie ein Pferd, das an seinem Haltegurt zerrt und sich jeden Moment losreißen wird – ein reißender Gurt kann alle in seiner Nähe ernsthaft verletzen. Doch die Dorfmädchen finden Gefallen an der Kraft seiner Überzeugungen und an seinen breiten Schultern. Ich selbst entdecke durchaus Wahres in seinen Argumenten, kann ihren Inhalt aber oft durch seine Wut hindurch nicht verstehen. Meine Mutter sagt, dass Ab schon groß und wütend zur Welt gekommen ist, dass er sich den Weg hinaus aus ihrem Bauch hochrot vor Zorn gebahnt hat. Aber es ist auch schwierig, ohne Murren zu arbeiten, wenn deine Stiefel so oft geflickt wurden, dass sie fast nur noch von Kleber und Nähten zusammengehalten werden.
    * * *
    Die große Scheune strahlt im Lichterglanz. Sie taucht plötzlich wie ein riesiges Schiff aus dem Nebel auf, als wir um die Ecke kommen. Das zweiflügelige Tor ist weit geöffnet, und flackernde Fackeln stehen auf beiden Seiten des Eingangs. Gierig lecken die langen, orangefarbenen Flammen an dem Talg, und dicker schwarzer Rauch steigt von ihren Spitzen auf wie von einer heißen, aufgerührten Flüssigkeit.
    Wir kommen ziemlich spät. Die Luft in der Scheune ist warm, süß und stickig. Laternen hängen von den Balken. In der Herdstelle in der Mitte lodert ein wildes Feuer, und Rauch schlängelt sich durch die Löcher in der hohen Decke. Jim Figg und Jim Hickon aus dem Dorf sägen auf ihren Violinen, und Mr. Tuckers kleiner Junge bearbeitet eine Trommel. Mädchen, die jünger sind als ich, tanzen, und ihre Schuhe wirbeln den Staub der Streu in die Luft. Aufgescheucht durch
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