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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin
Autoren: Aufbau
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Wollhändler die Vliese der Schafhirten auf. Menschenmassen wogten auf dem Markt hin und her. Die Stände schwammen darin wie Treibholz.
    »Wo sind die Viehhürden?«
    Elias lachte. »Irgendwo dazwischen.«
    »Verkaufen sie alles durcheinander? Kräuter, Korn, Holz, Vieh?«
    »Melton Mowbray ist nicht Nottingham, Catherine.«
    |39| Tatsächlich wurde Butter neben Schafen, Getreide neben Heilkräutern, Holz neben Kühen angepriesen. Schuhmacher verkauften Stiefel für den Winter, ein Gewandschneider hielt ein Kleid in die Höhe und strich lockend darüber. Korbflechter, Messerschmiede, und immer wieder Viehhändler riefen durcheinander. Catherine wäre beinahe weitergegangen, als Elias stehenblieb, um mit einem Pferdehändler über den Zelter zu verhandeln. Im Gedränge hatte sie es nicht bemerkt. Der Händler besah sich Warins Hufe und sein Gebiß. Catherine hörte Elias den Namen »Latimer« sagen. Kurz darauf gaben sich die Männer die Hände und zogen sich hinter einen Tisch zurück, wo der Händler Elias Münzen auszählte.
    »Ist es gut gelaufen?« fragte Catherine ihn, als er an den
    Sattel herantrat und die Stricke löste, die den Linsenkasten hielten.
    Elias raunte: »Zweihundertdreißig Schillinge! Wir sind reich.« Nach und nach lud er Catherine die Werkzeugtaschen und die Proviantbeutel vor die Füße. Dann, nachdem er dem Zelter zum Abschied den Hals geklopft hatte, sah er sie an und zögerte. »Meine gute Catherine, was hast du von all dem? Warte kurz, laß mich dir eine Überraschung kaufen.« Damit verschwand er in der Menschenmenge.
    Catherine berührte den gläsernen Ring an ihrem Ringfinger. Es würde das zweite Geschenk sein, daß er ihr machte, seit sie verheiratet waren. Ein Ereignis, eine Riesenfreude! Mochte die Stadt häßlich sein, es war doch eine Reise gemeinsam mit Elias, an die sie gern zurückdenken würde. Wie er sie in Tur Langton gestreichelt, sie geküßt hatte, und wie er mit ihr gescherzt hatte nach dem Aufbruch aus Braybrooke, als die Düsternis dieses Ortes von ihnen abfiel wie eine trockene Kruste! Er würde es bestreiten, aber es tat ihm offenbar gut, daß er einmal einige Tage nicht in der Werkstatt saß.
    Ihr Blick fiel auf einen weiß bemalten Schwan, der rittlings auf einer der Vorhallen saß. Was hatte Wolle mit einem Schwan zu tun? Wollte der Händler ausdrücken, daß seine Ware in ihrer Reinheit einem Vogelgefieder glich?
    |40| Gegenüber ragte der Kirchturm in den Himmel. Er warf einen mächtigen Schlagschatten auf das Markttreiben, einen Streifen der Nacht, in den die Menschen auf der einen Seite eintauchten und von dem sie sich auf der anderen Seite wieder befreiten. Wie paßte all das Volk in die Kirche? Zugegeben, sie war von stattlicher Größe, aber dennoch füllten den Platz so viele, daß es dreier solcher Kirchen bedurft hätte, ihnen allen die Messe zu lesen.
    Was würde Elias ihr kaufen? Sie nahm sich vor, sich über alles zu freuen, nicht enttäuscht zu sein, wenn es nur ein wenig Honiggebäck war. Immerhin war es ein Zeichen seiner Liebe. Sie waren Gefährten, sie brauchten einander, und beide wußten sie das.
    Doch warum kam er nicht zurück? Selbst wenn er zum anderen Ende des Marktplatzes gelaufen war, eine Weile verhandelt und sich dann zurück durch die Menschenmasse gekämpft hatte, mußte er längst wieder dasein. Sorge beschlich sie. Kindisch! sagte sie sich. Er würde jeden Augenblick mit einem jungenhaften Grinsen auf sie zugehen und ihr etwas entgegenstrecken, das sie erfreuen sollte.
    Der Schatten des Kirchturms wanderte.
    Ein junger Bursche kam und führte Warin fort.
    Täuschte sie sich, oder ließ das Zetern der Händler nach? War es dunkler geworden? Lichtete sich das Gedränge? Der Kirchturmschatten berührte die Häuser am Rand des Marktplatzes.
    Elias mußte etwas zugestoßen sein. Er hätte sie nicht so lange warten lassen. Vielleicht hatte er jemanden getroffen, dem die Brille zerbrochen war, und er handelte mit ihm die Kosten der Reparatur aus? Aber das dauerte nicht Stunden.
    Sie lud sich die Werkzeugtaschen und den Linsenkasten auf. Mit letzter Kraft hob sie noch die Proviantbeutel an und wankte so von Stand zu Stand. Endlich fand sie einen Silberschmied. »Verzeiht«, sprach sie ihn an, »hat ein Mann mit weißem Haar bei dir etwas gekauft in den letzten Stunden?«
    »Bedaure, nein.«
    |41| »Er hat schmale Lippen und ein kluges Gesicht. Er spricht mit dem Akzent der Londoner, du weißt schon. Bist du sicher, daß du ihn nicht
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