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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel
Autoren: Günter Grass
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Krieges an Wunderwaffen glauben lassen, das hätte dennoch nicht die Polnische Post gerettet.
    Oskar kam nicht zum Einsatz. Jener Doktor Michon mit dem polnischen Stahlhelm auf dem Direktorenkopf vereidigte mich nicht, sondern gab mir, als ich die Treppe zur Schalterhalle hinunterhastete, ihm zwischen die Beine lief, eine schmerzhafte Ohrfeige, um gleich nach dem Schlag, laut und polnisch fluchend, abermals seinen Verteidigungsgeschäften nachzugehen. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Schlag hinzunehmen. Die Leute, mithin auch der Doktor Michon, der schließlich die Verantwortung trug, waren aufgeregt, fürchteten sich und konnten als entschuldigt gelten.
    Die Uhr in der Schalterhalle sagte mir, daß es zwanzig nach vier war. Als es einundzwanzig nach vier war, konnte ich annehmen, daß die ersten Kampfhandlungen dem Uhrwerk keinen Schaden zugefügt hatten. Sie ging, und ich wußte nicht, ob ich diese Gleichmut der Zeit als schlechtes oder gutes Zeichen werten sollte.
    Jedenfalls blieb ich vorerst in der Schalterhalle, suchte Jan und Kobyella, ging dem Doktor Michon aus dem Wege, fand weder denOnkel noch den Hausmeister, stellte Schäden an der Verglasung der Halle fest, auch Sprünge und häßliche Lücken im Putz neben dem Hauptportal und durfte Zeuge sein, als man die ersten zwei Verwundeten herbeitrug. Der eine, ein älterer Herr mit immer noch sorgfältig gescheiteltem Grauhaar, sprach ständig und erregt, während man den Streifschuß an seinem rechten Oberarm verband. Kaum hatte man die leichte Wunde weiß eingewickelt, wollte er aufspringen, nach seinem Gewehr greifen und sich abermals hinter die wohl doch nicht kugelsicheren Sandsäcke werfen.
    Wie gut, daß ein leichter, durch starken Blutverlust verursachter Schwächeanfall ihn wieder zu Boden zwang und ihm jene Ruhe befahl, ohne die ein älterer Herr kurz nach einer Verwundung nicht zu Kräften kommt. Zudem gab ihm der kleine, nervige Fünfziger, der einen Stahlhelm trug, aber aus zivilem Brusttäschchen das Dreieck eines Kavaliertaschentuches hervorlugen ließ, dieser Herr mit den noblen Bewegungen eines beamteten Ritters, der Doktor war und Michon hieß, der Jan Bronski am Vorabend streng ins Verhör genommen hatte, gab dem älteren blessierten Herrn den Befehl, im Namen Polens Ruhe zu bewahren.
    Der zweite Verwundete lag schwer atmend auf einem Strohsack und zeigte kein Verlangen mehr nach den Sandsäcken. In regelmäßigen Abständen schrie er laut und ohne Scham, weil er einen Bauchschuß hatte.
    Gerade wollte Oskar noch einmal die Reihe der Männer hinter den Sandsäcken inspizieren, um endlich auf seine Leute zu treffen, da ließen zwei fast gleichzeitige Granateinschläge über und neben dem Hauptportal die Schalterhalle klirren. Die Schränke, die man vor das Portal gerückt hatte, sprangen auf und gaben Stöße gehefteter Akten frei, die dann auch richtig aufflatterten, den ordentlichen Halt verloren, um auf den Fliesen landend und gleitend Zettel zu berühren und zu decken, die sie im Sinne einer sachgemäßen Buchhaltung nie hätten kennenlernen dürfen. Unnütz zu sagen, daß restliches Fensterglas splitterte, daß größere und kleinere Felder Putz von den Wänden und von der Decke fielen.
    Man schleppte einen weiteren Verwundeten durch Gips-und Kalkwolken in die Mitte des Raumes, dann jedoch, auf Befehl des Stahlhelmes Doktor Michon, die Treppe hinauf ins erste Stockwerk.
    Oskar folgte den Männern mit dem von Stufe zu Stufe aufstöhnenden Postbeamten, ohne daß ihn jemand zurückrief, zur Rede stellte oder gar, wie es kurz zuvor der Michon für nötig befunden hatte, mit grober Männerhand ohrfeigte. Allerdings gab er sich auch Mühe, keinem der Erwachsenen zwischen die Postverteidigerbeine zu laufen.
    Als ich hinter den langsam die Treppe bewältigenden Männern das erste Stockwerk erreichte, bestätigte sich meine Ahnung: man brachte den Verwundeten in jenen fensterlosen und deshalb sicheren Lagerraum für Briefsendungen, den ich eigentlich für mich reserviert hatte. Auch glaubte man, da es an Matratzen mangelte, in den Briefkörben zwar zu kurze, aber immerhin weiche Unterlagen für die Blessierten zu finden. Schon bereute ich, meine Trommel in einem dieser rollbaren Wäschekörbe voller unbestellbarer Post eingemietet zu haben. Würde das Blut dieser aufgerissenen, durchlöcherten Briefträger und Schalterbeamten nicht durch die zehn oder zwanzig Papierlagen hindurchsickern und meinem Blech eine Farbe geben, die es bisher nur
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