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Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)

Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)

Titel: Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)
Autoren: Götz Aly
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bin und dass man mir das tut?« Gelähmt vor Entsetzen folgte sie in das Auto. [110]  

Ich befand mich in einem Totentransport
Die Ärzte, die den Betrieb der Gaskammern steuerten, verfügten über ein letztes Vetorecht. In der Regel saß eine Kommission in einem Raum vor der Gaskammer und prüfte jeden »Fall«, zumeist im Minutentakt. Zu der Kommission gehörten die beiden »Vollzugsärzte«, der Büroleiter, der Standesbeamte, der Oberpfleger und die Oberschwester und Hilfskräfte aus dem Büro der Mordanstalt. Alle trugen einen weißen Kittel. [111]  
Maria Vollweiler wurde 1903 im Süddeutschen geboren, erlitt 1936 eine Depression, bald darauf kam sie wegen »Äußerungen über das Dritte Reich« kurzzeitig ins Gefängnis, anschließend in eine Anstalt und wurde sterilisiert. Ihr Mann ließ sich scheiden. Ende 1939 wurde sie ins hessische Goddelau verlegt und dann, 1940 am Dienstag nach Pfingsten, in die Anstalt Zwiefalten. Drei bis vier Wochen später mussten die deportierten Frauen den Bus zur Gaskammer ins nahe Grafeneck besteigen. Dort wurde Maria Vollweiler zurückgestellt. Im Dezember 1947 bezeugte sie vor dem Untersuchungsrichter in Freiburg i.Br.:
    Die Verlegung von Goddelau nach Zwiefalten erfolgte in einem größeren Frauentransport. In vier Omnibussen wurden etwa 80 Frauen nach Zwiefalten gebracht. Die Fenster des Omnibusses, in welchem ich fuhr, waren nicht getüncht, und ich konnte die Reiseroute verfolgen. In Zwiefalten kam ich in die Anstalt von Dr. (Arthur) Schreck. In Zwiefalten wurden wir sehr schlecht untergebracht. Wir mussten auf dem Boden auf Stroh liegen und konnten uns nicht ausreichend zudecken. Ich habe Dr. Schreck auf die schlechte Unterbringung hingewiesen und dabei auch erklärt, dass wir in Goddelau so gut untergebracht worden seien. Dr. Schreck vertröstete mich damit, ich käme von Zwiefalten bald wieder weg.
    Nachdem ich einige Wochen in Zwiefalten war, wurde ich von anderen Patientinnen morgens sehr früh geweckt. Ich und andere Patientinnen wurden für einen Transport zurechtgemacht, und eine Pflegerin brachte uns auf dem Rücken eine Zahl an. Ich konnte dies zwar selbst nicht sehen, eine andere Insassin hat mir aber die Nummer vorgelesen. Ich habe die Nummer nicht mehr in Erinnerung. Ich habe bei den anderen Patientinnen ebenfalls festgestellt, dass eine Nummer angebracht war. An diesem Tage kam ich dann mit dem gesamten Transport aus Goddelau nach Grafeneck. Ich wusste zwar nicht, dass ich nach Grafeneck käme, habe aber als ziemlich sicher angenommen, dass ich mich in einem Totentransport befinde. Dies haben auch andere damals verlegte Patientinnen angenommen. Mit mir verlegt wurde damals ein Fräulein Emilie Huf aus Karlsruhe und die Jüdin Selma Hauser aus Mannheim. Beide wurden später dann auch in Grafeneck getötet. Von Zwiefalten wurden wir in graugestrichenen Omnibussen nach Grafeneck gebracht. Obwohl ich ahnte, was mir bevorstand, bin ich freiwillig eingestiegen. Es waren nämlich zahlreiche Wärter zugegen, und ich sah keine Möglichkeit zur Gegenwehr. Dagegen war ich bestrebt zu entfliehen, konnte aber keine passende Gelegenheit mehr finden. Sowohl Fräulein Huf als auch Frau Hauser waren noch geordnet, und ich konnte mich mit ihnen unterhalten.
    In Grafeneck mussten wir die Omnibusse verlassen und wurden sofort in eine lange Baracke gebracht. Vom Fenster dieser Baracke aus habe ich dann festgestellt, dass die Anstalt mit einem Stacheldraht umgeben war. In einem großen Raum dieser Baracke mussten wir alle zunächst warten. Einige Pfleger und Pflegerinnen standen an der Türe, um uns zu bewachen. In dem Raum war es sehr eng, und einige Patientinnen wurden unruhig. Die anwesenden Wärter gaben solchen Patienten sofort Spritzen. In diesem Raum mussten wir wohl zwei bis drei Stunden warten. Aus unserem Warteraum wurden währenddessen fortlaufend Patientinnen aufgerufen. Bei vielen Patientinnen, die ihren Namen nicht angeben konnten, wurde nach der Nummer auf dem Rücken gesehen. Auch diese Patientinnen wurden dann weggeführt. Nach einigen Stunden wurde mein Namen gerufen. Fräulein Huf wollte mich nicht weggehen lassen, sie klammerte sich weinend an mich. Die Wärter haben Fräulein Huf mit Gewalt von mir losgerissen. (…)
    Nach Aufruf meines Namens wurde ich durch einen langen Gang in eine andere Baracke geführt. Dort saßen hinter Tischen etwa sechs Männer, möglicherweise waren es Ärzte. Von einem dieser Männer wurde ich eingehend ausgefragt. Ich
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