Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
Unabhängigkeit erleben und nicht als unbegrenzte Möglichkeit, unter den Konsumgütern zu wählen.« Er sieht aber auch die Risiken: »Der Gefahr, dass ein Staat, der alle ernährt, zu einer Muttergottheit mit diktatorischen Eigenschaften werden könnte, kann nur durch eine gleichzeitige wirksame Vermehrung demokratischer Verfahren in allen gesellschaftlichen Bereichen begegnet werden.« 49
Der Geist von 1968 lässt grüßen (vermischt mit ein bisschen
DDR-Mief). Man hat hier leicht spotten, aber Erich Fromm gebührt immerhin das Verdienst, konsequent den Gedanken eines garantierten Einkommens zu Ende gedacht zu haben: Die damit angestrebte Zufriedenheit und Befreiung von Konkurrenzdruck kehrt eben erst ein, wenn keiner wesentlich mehr hat als andere, und das soll der Staat durch Wirtschaftslenkung und Eingriffe in die Konsumfreiheit sicherstellen. Man fühlt sich erinnert an den Slogan der Linken im letzten Bundestagswahlkampf - »Reichtum für alle«.
Der fraglos vorhandene ästhetisch-moralische Reiz einer vom Staat ungefragt vergebenen und für alle gleichen materiellen Grundausstattung muss grundsätzlich abgewogen werden gegen die gewaltige Aufblähung der staatlichen Verrechnungssysteme, wenn das System bezahlbar bleiben soll. Nach Abschluss dieser Verrechnung wird bei einem gesamtwirtschaftlich bezahlbaren Bürgergeld netto aber auch nur das ausgeschüttet werden, was schon heute an sozioökonomischer Grundsicherung ausgeschüttet wird. Die Frage ist, was das Ganze dann bringen soll. Die Fälle an unentdeckter »verschämter Armut«, die auch zur Begründung des bedingungslosen Grundeinkommens angeführt werden, sind seit Einführung des Arbeitslosengeldes II und der Grundsicherung im Alter ja weitgehend beseitigt.
Es ist eine Sache, für die Pechvögel, die zu kurz Gekommenen und die nicht so Leistungsfähigen ein an Bedingungen geknüpftes Auffangnetz zu spannen, und eine andere, die gesamte Gesellschaft mit den eigenen Wohlfahrtsvorstellungen zu überziehen. Wenn das bedingungslose Grundeinkommen eine wohltätige Wirkung entfalten soll, muss man die Gesellschaft (und wohl auch die Natur des Menschen) sehr weitreichend ändern, da hat Erich Fromm Recht. Die leidvollen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gemahnen da zur Vorsicht.
Auch in einem anderen Punkt hat Erich Fromm Recht: Nicht Geld macht glücklich, Sinn macht glücklich. Sinn aber entsteht nicht durch passiven Genuss, sondern durch sozialen Austausch und produktive Einbindung. Für die meisten Menschen, die eben keine Forscher, keine Künstler und keine Spitzensportler sind, liefert diesen
Sinn der Katalog täglicher Aufgaben, denen sie sich zu stellen haben, und das damit verbundene Gerüst an Kontakten, an Zeiteinteilung und Bestätigung. Wer die Menschen von der Notwendigkeit, für ihr Auskommen zu arbeiten, befreit, tut damit gerade den Schwächeren unter ihnen einen Tort an. Warnfried Dettling hat klar formuliert, wohin das führen muss:
»Man kann Menschen nicht nachhaltiger schaden und ausgrenzen, als wenn man sie für längere Zeit von Arbeitszusammenhängen fernhält. Nicht Billigarbeitsplätze schaffen eine neue Klasse, sondern Mentalitäten, die nichts mehr von sich, und Fürsorgesysteme, die nichts mehr von den Menschen erwarten. Weit über den Arbeitsmarkt hinaus, in Pflegeheimen wie in Familien, bricht sich die erfahrungsgesättigte Erkenntnis Bahn: Wer etwas für andere tut, was diese für sich selbst tun können, handelt unsozial. Er zerstört in den Menschen das Gefühl des Selbstwertes und der Selbstwirksamkeit.« 50
Jede Form von Grundsicherung muss so angelegt sein, dass sie nicht eingrenzt und lähmt, sondern fördert. Deshalb kommt dem Übergang zwischen Transferempfang und Anrechnung von Erwerbseinkommen nicht nur aus fiskalischen Gründen besondere Bedutung zu. Die Gestaltung der sogenannten Transferentzugsrate wirkt neben dem Transferniveau maßgeblich nicht nur auf die Kosten ein, sondern auch auf die Anreize für den Einzelnen, sich aus der Subventionsabhängigkeit zu befreien. Die dazu vor allem von Befürwortern des garantierten Einkommens angestellten Überlegungen laufen auf eine Wiederbelebung der ursprünglich amerikanischen Konzepte zur negativen Einkommensteuer hinaus (siehe dazu Kapitel 5) .
Nebenwirkungen der Armutsbekämpfung
Der Sozialstaat sorgt durch Umverteilung und Auffangnetze dafür, dass jeder Bürger materiell in der Lage ist, für seine Gesundheit zu sorgen, sich zu ernähren, zu kleiden und
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