Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
Autoren: Robert M. Talmar
Vom Netzwerk:
hast du verstanden, weshalb du die Liste erhalten hast«, lenkte Furgo ein. »Und aus irgendeinem Grund bist du inzwischen der älteste meiner Gesellen. Wem sollte ich in meiner Abwesenheit sonst die Werkstatt anvertrauen? Habe ich eine andere Wahl?«
    »Selbstverständlich, Herr   … Nein. Ich meine nein , Herr Furgo.«
    Der Tintner rollte mit den Augen und brummte verdrossen. Furgo musterte seinen Gesellen mit zweifelndem Blick. Dann nickte er und klopfte dem Jüngeren auf die Schulter. »Du wirst dich an die Liste halten, hörst du?«
    Abbado nickte stumm, und der frühere Glanz stahl sich zurück in seine breiten Züge.
    Aus dem größeren Raum nebenan, der eigentlichen Fertigungsstätte aller Fokklinhand-Waren, drangen leise Stimmen und die üblichen Arbeitsgeräusche der Tintnerey herüber. Jemand rührte mit schnellem Schlag Leim an. Ein anderer schnippte mit einer Schere. Helle Hammerschläge ertönten. In das gleichmäßige singende Klingen des Ambosses fiel ab und an das kreischende Schaben einer Feile mit ein.
    Die Sonne zeigte sich gänzlich unbeeindruckt von den Vorgängen in der Tintnerey. Sie blinzelte durch wippende Kastanienzweige zum Fenster des Brochs herein. Das und der fast wolkenlose Himmel versprachen einen verspäteten, angenehm warmen Sommertag bei trockenen Straßen. Wie geschaffen zum Reisen; nicht zu heiß und nicht zu windig, gleichwohl der Herbst schon begonnen hatte und die Blätter des Hüggellandes sich allmählich in Gold und Rottönen verfärbten.
    Vom geöffneten Fenster her hörte Finn den wartenden Panuffel auf dem gepflasterten Hof mit den Hufen scharren. Das schwarz-weiß gescheckte Pony war Mamas Lieblingstier. Es zupfte zufrieden Blätter von der Hofhecke und war die Ruhe selbst. Panuffel betrachtete   – ganz anders als Furgo   – die bevorstehende Reise mit seinem gewohnten Gleichmut.
    Finn hob kurz den Blick und sah wie auf ein Stichwort seine Mutter aus dem Rundhaus treten. Amafilia trug einen prall gefüllten Korb vor sich her. Rasch querte sie den Hof und bestieg den Wagen, vor den das Pony angeschirrt war. Ein gefalteter Schirm baumelte an ihrem Handgelenk. Für den großen Korb, aus dem Brotlaibe lugten und Rettichstangen, fand sie irgendwie noch einen Platz trotz des Gedränges der sonstigen Gepäckstücke, die sie in letzter Minute beschlossen hatte mitzunehmen. Eine Truhe mit allerlei Hausrat und Kleidungsstücken war erst vorhin noch von zwei Gesellen auf den Wagen gewuchtet worden.
    Amafilia richtete die Schleife ihres großen Sonnenhutes, rückte den Umhang über ihrem Reisekleid zurecht und bemerkte, wie Finn sie durch das Fenster beobachtete. Sie winkte ihrem Sohn zu; er lächelte zurück. Die goldenen Doppelscheiben der Tassel an ihrem Mantel blinkten. Ungeduldig spannte sie den Schirm auf und schloss ihn sogleich wieder. Eine steile Falte bildete sich auf ihrer Stirn, und Finn konnte die Frage in ihrem Gesicht förmlich lesen: Wo bleibt nur Furgo so lange? Am liebsten, das konnte Finn seiner Mutter ansehen, hätte sie selbst die Zügel ergriffen und wäre wie ein Sturmwind davongebraust. Die Zeit drängte, wie sie alle (einschließlich Furgo) wohl wussten.
    »Selbstverständlich, Herr Furgo«, sagte der Geselle zum vierten Mal. Diesmal galt dies der Frage, ob er auch alle vorherigen Anweisungen verstanden habe.
    Meister Furgo knabberte an seiner Unterlippe. Er klopfte unschlüssig auf die Taschen seiner Jacke, als habe er etwas vergessen.
    »Und die dieswöchige Lieferung für die Bücherey zu Mechellinde? Werdet ihr pünktlich fertig sein?«
    »Selbstverständlich, Herr Furgo«, hauchte Abbado, sichtlich am Ende seiner Kraft.
    »Wer liefert die Sachen aus?«
    »Ich selbst werde sie ausliefern, wenn du gestattest, Herr Furgo«, beeilte sich Abbado zu versichern.
    »Ja. Gut, gut«, sagte Furgo.
    Finn kannte seinen Vater lange genug, um zu wissen, wie dieser spürte, er sollte längst unterwegs sein. Furgo sah seine Gattin draußen auf dem Wagen sitzen und in der Morgensonne warten, die Hände um den Griff ihres Schirms gefaltet. Ihre Schuhspitzen wippten vielsagend. Schon jetzt würden sie Aarienheim nur sehr spät am Abend erreichen, womöglich sogar erst im Dunkeln. Es war höchste Zeit.
    Furgo trug längst seine Reisekleider: den Hut, einen Umhang, seine besten Stiefel, die im hereinfallenden Sonnenlicht glänzten. »Also gut.« Furgo wandte sich, zum zweiten Mal jetzt schon, zur Tür. Da fiel ihm noch etwas ein. Gewichtig hob er den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher