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Der verbotene Turm

Der verbotene Turm

Titel: Der verbotene Turm
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Gelächter war in dieser ernsten Konfrontation ebenso unvorstellbar wie Tränen, aber Belustigung schwang in ihrer Stimme mit, und sie wußte, Leonie merkte es. »Wir haben eine Hebamme auf Armida, Leonie. Laß sie holen, wenn du willst, und meine Jungfräulichkeit bestätigen.«
    Jetzt senkte Leonie die Augen. Schließlich sagte sie: »Das wird nicht nötig sein, Kind. Aber ich hatte mich, als ich hierher kam, darauf vorbereitet, der Tatsache ins Auge zu sehen, daß du vergewaltigt worden bist.«
    »In der Gewalt der Nichtmenschen? Nein, ich mußte Furcht, Kälte, Einkerkerung, Hunger und Mißhandlung ertragen, aber eine Vergewaltigung ist mir erspart geblieben.«
    »Es hätte im Grunde nichts zu bedeuten gehabt, weißt du«, sagte Leonie, und ihre Stimme war sehr sanft. »Natürlich braucht sich eine Bewahrerin im Allgemeinen nicht sehr vor einer Vergewaltigung zu fürchten. Du weißt ebenso gut wie ich, daß jeder Mann, der Hand an eine Bewahrerin legt, die so ausgebildet worden ist wie du, sein Leben riskiert. Aber möglich ist eine Vergewaltigung schon. Manche Frauen sind durch rohe Kraft überwältigt worden und hatten dann im letzten Augenblick Angst, jene Kraft, die sie schützen kann, zu aktivieren. Deshalb wollte ich dir unter anderem auch sagen: Selbst wenn du wirklich vergewaltigt worden wärst, hättest du immer noch die Wahl, mein Kind. Es ist nicht der körperliche Akt, der den Unterschied ausmacht, wie du weißt.« Callista hatte es nicht gewußt und war ein bißchen überrascht.
    Leonie fuhr sachlich fort: »Wenn dich ein Mann ohne deine Zustimmung genommen hätte, wäre nichts weiter notwendig gewesen als eine kurze Zeit der Absonderung, um deine Ängste und Wunden zu heilen. Aber auch, wenn es keine Vergewaltigung war, wenn du dich aus Dankbarkeit oder Freundlichkeit deinem Retter hingegeben hast, ohne gefühlsmäßig richtig beteiligt zu sein – was ja gut möglich ist –, selbst dann braucht es nicht unwiderruflich zu sein. Eine Zeit der Absonderung, der Neukonditionierung, und du könntest sein wie zuvor, unverändert, unbeschädigt, immer noch fähig, Bewahrerin zu sein. Das ist nicht allgemein bekannt; wir halten es aus offensichtlichen Gründen geheim. Aber du hast immer noch die Wahl, Kind. Ich möchte nicht, daß du denkst, du seiest wegen einer Sache, die ohne deinen Willen geschehen ist, für alle Zeit aus dem Turm verstoßen.«
    Leonie sprach immer noch ruhig, beinahe unbeteiligt, aber Callista wußte, dahinter stand ein Flehen. Von Mitleid und Schmerz gefoltert, sagte Callista: »Nein, so ist es nicht, Leonie. Was zwischen uns geschehen ist … Das ist etwas ganz anderes. Ich lernte ihn kennen und lieben, bevor ich in dieser Welt jemals sein Gesicht gesehen hatte. Aber er ist zu ehrenhaft, um von mir zu verlangen, ich solle einen gegebenen Eid brechen, ohne die Erlaubnis erhalten zu haben.«
    Leonie hob die Augen, und der stahlblaue Blick war plötzlich wie ein gleißender Blitz.
    »Liegt es daran, daß er zu ehrenhaft ist«, fragte sie hart, »oder daran, daß du zu viel Angst hast?«
    Callista war es wie ein Stich ins Herz, aber ihre Stimme blieb fest. »Ich habe keine Angst.«
    »Vielleicht nicht um dich selbst – das glaube ich dir. Aber auch nicht um ihn, Callista? Du kannst immer noch ohne Strafe, ohne Unbill nach Arilinn zurückkehren, doch wenn du nicht zurückkehrst – soll das Blut deines Liebhabers über dich kommen? Du wärst nicht die erste Bewahrerin, die einem Mann den Tod bringt!«
    Callista hob die Hand und öffnete die Lippen zum Widerspruch, aber Leonie winkte ihr zu schweigen und fuhr erbarmungslos fort: »Bist du im Stande gewesen, auch nur seine Hand zu berühren?«
    Callista fühlte sich von Erleichterung überflutet, einer so großen Erleichterung, daß sie wie körperlicher Schmerz war und ihr die Kraft nahm. Mit dem getreuen Erinnerungsvermögen des Telepathen ließ sie ein Bild in sich aufsteigen, und es war, als sei die Zeit, die zwischen dem Damals und dem Heute lag, ausgelöscht …
    Andrew hatte sie aus der Höhle getragen, wo die Große Katze tot lag, ein geschwärzter Leichnam neben der zerschmetterten Matrix, die sie entweiht hatte. Andrew hatte sie in seinen Mantel gewickelt und vor sich auf sein Pferd gesetzt. Von neuem fühlte sie, als sei es Wirklichkeit, wie sie sich an ihn lehnte, wie ihr Kopf an seiner Brust lag, in die Beugung seines Arms geschmiegt, wie sein Herz dicht an ihrer Wange schlug. Sicher, warm, glücklich, völlig im Frieden. Zum
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