Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Stechlin.

Der Stechlin.

Titel: Der Stechlin.
Autoren: Theodor Fontane , Helmuth Nürnberger
Vom Netzwerk:
paar Wochen geht es; aber dann bändeln sie gleich an, am liebsten mit ‘nem Volontär, wir haben nämlich auch Volontärs in der Mühlenbranche. Und die meisten sind aus ganz gutem Hause. Die jungen Menschen passen aber nicht auf, und da hat man’s denn, und immer gleich Knall und Fall. All das ist doch traurig, und mitunter ist es auch so, daß man sich geradezu genieren muß.«
    Czako seufzte. »Mir ein Greuel, all dergleichen. Aber ich weiß vom Manöver her, was alles vorkommt. Und mit einer Schläue… nichts schlauer als verliebte Menschen. Ach, das ist ein Kapitel, womit man nicht fertig wird. Aber Sie sagten Linienstraße, meine Gnädigste. Welche Nummer denn? Ich kenne da beinah jedes Haus, kleine, nette Häuser, immer bloß Bel-Etage, höchstens mal ein Oeil de Boeuf.«
    »Wie? was?«
    »Großes rundes Fenster ohne Glas. Aber ich liebe diese Häuser.«
    »Ja, das kann ich auch von mir sagen, und in gerade solchen Häusern hab’ ich meine beste Zeit verbracht, als ich noch ein Quack war, höchstens vierzehn. Und so grausam wild. Damals waren nämlich noch die Rinnsteine, und wenn es dann regnete und alles überschwemmt war und die Bretter anfingen, sich zu heben, und schon so halb herumschwammen, und die Ratten, die da drunter steckten, nicht mehr wußten, wo sie hin sollten, dann sprangen wir auf die Bohlen rauf, und nun die Biester raus, links und rechts, und die Jungens hinterher, immer aufgekrempelt und ganz nackigt. Und einmal; weil der eine Junge nicht abließ und mit seinen Holzpantinen immer drauflosschlug, da wurde das Untier falsch und biß den Jungen so, daß er schrie! Nein, so hab’ ich noch keinen Menschen wieder schreien hören. Und es war auch fürchterlich.«
    »Ja, das ist es. Und da helfen bloß Rattenfänger.«
    »Ja, Rattenfänger, davon hab’ ich auch gehört - Rattenfänger von Hameln. Aber die gibt es doch nicht mehr.«
    »Nein, gnädige Frau, die gibt es nicht mehr, wenigstens nicht mehr solche Hexenmeister mit Zauberspruch und einer Pfeife zum Pfeifen. Aber die meine ich auch gar nicht. Ich meine überhaupt nicht Menschen, die dergleichen als Metier betreiben und sich in den Zeitungen anzeigen, unheimliche Gesichter mit einer Pelzkappe. Was ich meine, sind bloß Pinscher, die nebenher auch noch ›Rattenfänger‹ heißen und es auch wirklich sind. Und mit einem solchen Rattenfänger auf die Jagd gehen, das ist eigentlich das Schönste, was es gibt.«
    »Aber mit einem Pinscher kann man doch nicht auf die Jagd gehen!«
    »Doch, doch, meine gnädigste Frau. Als ich in Paris war (ich war da nämlich mal hinkommandiert), da bin ich mit runtergestiegen in die sogenannten Katakomben, hochgewölbte Kanäle, die sich unter der Erde hinziehen. Und diese Kanäle sind das wahre Ratteneldorado; da sind sie zu Millionen. Oben drei Millionen Franzosen, unten drei Millionen Ratten. Und einmal, wie gesagt, bin ich da mit runtergeklettert und in einem Boote durch diese Unterwelt hingefahren, immer mitten in die Ratten hinein.«
    »Gräßlich, gräßlich. Und sind Sie heil wieder rausgekommen?«
    »Im ganzen, ja. Denn, meine gnädigste Frau, eigentlich war es doch ein Vergnügen. In unserm Kahn hatten wir nämlich zwei solche Rattenfänger, einen vorn und einen hinten. Und nun hätten Sie sehen sollen, wie das losging. ›Schnapp‹ und das Tier um die Ohren geschlagen, und tot war es. Und so weiter, so schnell wie Sie nur zählen können, und mitunter noch schneller. Ich kann es nur vergleichen mit Mr. Carver, dem bekannten Mr. Carver, von dem Sie gewiß einmal gelesen haben, der in der Sekunde drei Glaskugeln wegschoß. Und so immerzu, viele hundert. Ja, so was wie diese Rattenjagd da unten, das vergißt man nicht wieder. Es war aber auch das Beste da. Denn was sonst noch von Paris geredet wird, das ist alles übertrieben; meist dummes Zeug. Was haben sie denn Großes? Opern und Zirkus und Museum, und in einem Saal ‘ne Venus, die man sich nicht recht ansieht, weil sie das Gefühl verletzt, namentlich wenn man mit Damen da ist. Und das alles haben wir schließlich auch, und manches haben wir noch besser. So zum Beispiel Niemann und die dell’Era. Aber solche Rattenschlacht, das muß wahr sein, die haben wir nicht. Und warum nicht? Weil wir keine Katakomben haben.«
    Der alte Dubslav, der das Wort »Katakomben« gehört hatte, wandte sich jetzt wieder über den Tisch hin und sagte: »Pardon, Herr von Czako, aber Sie müssen meiner lieben Frau von Gundermann nicht mit so furchtbar ernsten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher