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Der Serienmörder von Paris (German Edition)

Der Serienmörder von Paris (German Edition)

Titel: Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Autoren: David King
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auf. Von da an dauerte es sehr lange, bis er sich durch ruckartige Bewegungen vollkommen befreien konnte. Petiot hielt sich wegen einer „nicht näher bekannten Ablenkung“ nicht in der Nähe auf. Raphaël schlich daraufhin durch den schmalen Korridor, kletterte aus einem Fenster in den Innenhof und erreichte die Straße. Er war daraufhin noch eine längere Zeit krank.
    Das ehemalige Mitglied der französischen Gestapo identifizierte das Gas als Cyanwasserstoff. HCN oder Blausäure (so genannt wegen der preußisch-blauen Farbe) ist ein hochgiftiges Gas, das nicht nur durch die Lungen in den Körper eindringt, sondern auch durch die Augen und über die Haut, den Verdauungstrakt und die Schleimhäute. Das Gas greift den Sauerstoff im Blut an sowie das zentrale Nervensystem. Dadurch ersticken die Zellen buchstäblich. Cyanwasserstoff wurde von den Nazis in Auschwitz und in weiteren Konzentrationslagern eingesetzt.
    Als Petiot mit den Renovierungsarbeiten in der Rue Le Sueur begann, waren die ersten Nazi-Experimente mit diesem Gas schon durchgeführt worden, und zwar am 3. September 1941 in Block 11 von Auschwitz. Der SS-Arzt und spätere Sturmbannführer Dr. Viktor Brack hatte als Erster der Nazielite, die auf der Suche nach einem effizienteren und schnelleren Weg waren, um die „Endlösung“ voranzutreiben, Cyanwasserstoff vorgeschlagen. Bislang hatten sie Kohlenmonoxid eingesetzt. Sechs Monate nach dem ersten Experiment, dem geschätzte 600 sowjetische Kriegsgefangene und 300 Polen und polnische Juden zum Opfer fielen, begannen die Nazis mit Cyanwasserstoff in der neuen Gaskammer in Auschwitz-Birkenau zu morden. Zu dem Zeitpunkt war Petiots dreieckiger Raum schon seit neun Monaten fertiggestellt.
    Petiot benötigte nicht unbedingt Zyklon B, die Handelsform von Cyanwasserstoff. Er konnte das Gas selbst herstellen, indem er Pellets von Zyankali (meist an Kieselgel gebunden) oder Kaliumcyanid in einen Eimer mit Schwefelsäure und destilliertem Wasser gab. Und exakt so beschrieb das ehemalige Mitglied der französischen Gestapo das Prozedere. Als Massu durch den Spion in den dreieckigen Raum schaute, entdeckte er eine elektrische Heizung, die wahrscheinlich einen ganz bestimmten Zweck hatte. Cyanwasserstoff dissoziiert erst bei einer Temperatur von ca. 24 Grad Celsius. An kalten Tagen ließ sich mit dem Ofen die Temperatur so weit erhöhen, dass der Prozess der Verdampfung einsetzte.
    Wenn das tödliche Gas die menschlichen Zellen angreift und sie an der Verarbeitung von Sauerstoff hindert, ringt das Opfer um Luft, stößt gurgelnde Geräusche aus und hat manchmal Schaum vor dem Mund. Das Opfer krümmt sich vor Schmerzen und leidet an Spasmen und Krämpfen. Möglicherweise setzt das Herz minutenlang aus und wieder ein, was in einem überlangen und qualvollen Kampf auf Leben und Tod endet. Es ist ein unvorstellbar schreckliches Ableben. Petiot ließ den Lumvisor installieren, um jedes Detail zu beobachten. Oder vielleicht doch zu einem anderen Zweck?
    Seit dem erstmaligen Einsatz einer Gaskammer im Staatsgefängnis von Nevada am 8. Februar 1924 rüstete man die Exekutionsräume aus Sicherheitszwecken mit einer Beobachtungslinse aus. Cyanwasserstoff bildet aufsteigende Wolken, und so stellt sich die Frage, ob Petiot sich an den Qualen seiner Opfer geweidet hat oder ob der Spion lediglich dazu diente, festzustellen, wann man den Raum wieder betreten und belüften konnte. Egal, aus welcher Perspektive man es auch betrachtet – der dreieckige Raum war tatsächlich eine Folterkammer und so grauenvoll, dass es jede Vorstellung überschreitet.
    Nach über 60 Jahren finden sich einige mögliche Antworten auf die Fragen, doch der größte Teil bleibt ungelöst. Wie viele Menschen brachte Petiot tatsächlich um? Wie tötete er sie? Wie eng waren seine Beziehungen zur französischen Gestapo und zur Résistance? Was geschah mit der Beute? Vielleicht werden wir nie die Antworten auf diese und die anderen Fragen erhalten. Petiot nahm viele der Geheimnisse mit auf seine letzte Reise.
    Wir wissen jedoch, dass es sich bei dem Fall Petiot um eine wichtige Geschichte handelt. Sie dreht sich um einen besessenen und profitgierigen Serienmörder, möglicherweise einen Mörder, der durch seine Taten mehr „erwirtschaftet“ hat als vergleichbare Straftäter. Hinter der dichten Rauchwolke, die aus einem Kamin im Herzen des schicken Pariser 16. Arrondissements aufstieg, liegt eine schreckliche Tragödie. Ein menschliches Raubtier nutzte die
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