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Der Mörder von St. Pauli (Zwischen den Welten)

Der Mörder von St. Pauli (Zwischen den Welten)

Titel: Der Mörder von St. Pauli (Zwischen den Welten)
Autoren: Wolfram Alster
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machen.
     
     
     
    Dann
versuchte ich, den Freund von mir zu erreichen, der ein paar Tage später mit
dem Verstorbenen mitgegangen war. Erfolglos. Ich versuchte es immer wieder,
aber scheinbar war die Handynummer falsch. Oder er hatte ne neue.
     
    Keiner,
den ich anrief, kannte ihn oder seine neue Nummer. Derweil wartete ich aufs
Testergebnis. Morgens ging ich wie ein Toter zur Arbeit, erledigte mechanisch
alle mir aufgetragenen Aufgaben, abends kam ich nach Hause, legte mich ins Bett
und wartete auf den Tod. Dann schlief ich ein, wachte morgens wieder auf, ging zur
Arbeit, legte mich wieder ins Bett und wartete. Irgend etwas musste doch
passieren. Ich redete mir ein, in mir bereits die Zellen zu spüren, die meine
gesunden Organe anfressen würden, und rechnete mir die Wochen aus, die mir noch
blieben. Ich ging nicht mehr weg, hatte keinen Sex mehr, schaltete mein Handy
aus, war nicht mehr erreichbar. Insgeheim hoffte ich, Gott würde gnädig sein
und mich einfach zu sich rufen. Jetzt, sofort. Einfach so. Ohne Ergebnis, ohne
Leid. Aber natürlich ging dieser Wunsch nicht in Erfüllung.
     
    Zwei
Wochen später erfuhr ich, dass ich riesiges Glück gehabt hatte: Ich war
negativ. Alle Türen, die ich vorher verschlossen sah, sprangen wieder auf und
offenbarten mir ihre Pracht aufs Neue. Alles leuchtete wieder heller denn je
und ich hatte alle Chancen der Welt. Ich war negativ.
     
    Ein
knappes halbes Jahr später traf ich durch Zufall den Ex-Lover von dem Freund,
den ich so lange erfolglos versucht hatte zu erreichen. Als ich ihn fragte, was
denn Gregor mache, und ob er eine neue Nummer habe, blickte er mich
verständnislos an.
    „Gregor
ist tot. Er hat sich umgebracht.“ Ich war wie vom Donner gerührt.
    „Umgebracht?
Aber... warum?“ Ich konnte... wollte es nicht begreifen.
    „Weil er
positiv ist. Der Typ, vor dem Du ihn nicht gewarnt hast, hat ihn angesteckt.
Mörder!“, sagte er und spuckte vor mir aus.
     
     
    Ich habe
es bis heute nie verstanden, aber es musste wohl so sein. Seitdem habe ich mich
nie wieder in die Lokale getraut, in denen man uns beide kannte. Ich meide jede
potentielle Begegnung mit den Menschen, die wissen, welche Last meine Seele
bedrückt. Ebenso weiche ich Arnold aus. Ihm und allen, die ihn kennen. Ich
laufe weg, anstelle mich meinem Problem zu stellen. Stattdessen kommen immer
neue Leute in mein Leben. Ich verbrauche viele. Sie und ihre Emotionen. Ich
lähme ihre Gedanken, ihre Sehnsüchte, ihre Liebe. Ich sehe jung genug aus, um
mit dem Nachwuchs mithalten zu können, und ein Ideal für sie zu sein. Aber ich muss
sie beschützen. Muss ihnen die Gefahr vom Leib halten, in der ich schwebte, und
die Gregor das Leben gekostet hat. Muss verhindern, dass es ihnen genauso geht.
Denn so wie ich ihnen etwas gebe, indem ich da bin, geben sie mir etwas: Sie
sind da. Sie und ihre Essenz sind meine Nahrung. Sie sind mein Halt. Ohne sie
würde mein Leben nicht weitergehen. Ich bestimme nicht über sie. Aber sie
müssen wissen, welches Risiko sie eingehen, wenn sie ohne Gummi vögeln. Je
früher sie das wissen, desto besser für sie.
     
    Für mich
ist sowieso alles zu spät. Und das kleine Etwas in mir wird früh genug seine
Stimme erheben und das tun, was es am besten kann: Klagen. Irgendwann werde ich
der Klage nachgeben. Keine Ahnung, was mir dann einfällt, um es zu betäuben.
Die moderne Chemie bietet so viel Auswahl. Und zur Not gibt es in Hamburg
genügend Brücken. Bis dahin werde ich jedoch die Zeit nutzen. Jede Nacht. Wenn
Du einst in einer Kneipe auf einen verführerisch wirkenden jungen Mann triffst,
könnte ich es sein. Und wenn ich Dich mit zu mir nehme, dann bitte ich Dich:
Bleib bis zum Frühstück, und lass mich träumen.
     
    Nur ein
kleines, kleines Bisschen.
     
    E N D E
     
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