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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler
Autoren: Will Lavender
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Augen.
    »Ich werde dich beschützen«, flüsterte Keller.
    Er küsste sie. Sie dachte daran, dass es zu Ende ging. Vielleicht war es bereits an jenem Abend zu Ende gegangen, an dem sie Aldiss’ Seminarraum zum ersten Mal betreten hatte. Etwas würde geschehen, das sie auseinanderreißen würde. Es war wie im Dunkeln Auto zu fahren, das Gefühl, dass etwas auf einen lauert, aber man einfach nicht sehen kann, was. Dann berührte Keller sie, und Alex schloss die Augen und gab sich ihm hin. Ließ los. Er war der erste Mann, der das getan hatte, der so weit, so tief gekommen war: Hier also kehrte sich alles von innen nach außen. Die Schuld, die Angst, dass sie nichts mit dem, was sie gelernt hatte, anfing, dass zwei Mädchen tot waren und sie immer noch nicht herausgekriegt hatte, warum – es wurde zu einem scharfen, stechenden Schmerz, und sie hielt sich an ihm fest und verlor sich in ihm.
    Ich liebe dich , sagte sie, als sie fertig waren. Sie war sich nicht sicher, ob sie es laut gesagt hatte, aber Keller zog sie auf jeden Fall näher an sich heran. Auch er sah dieses Ziel in der Ferne. Er wusste, was geschehen musste, wenn der Morgen kam und der Abendkurs zu Ende ging, und daher hielt er sie fest. Er hielt sie, ganz sanft und behutsam.
    Sie schlief. Sie träumte nicht von Aldiss, aber als sie in der grauen Morgendämmerung erwachte, hatte sie das Gefühl, er wäre im Zimmer gewesen, hätte sie geführt, sie angetrieben. Sie stand auf, leise genug, um Keller nicht zu wecken, und sagte zu sich selbst: In Ordnung. In Ordnung, Professor, ich höre Sie.
    Alex startete den Wagen und ließ die Hitze über ihr Gesicht rauschen. Sie war nicht hundertprozentig wach. Noch nicht. Sie hatte die letzten paar Stunden mit Nachdenken verbracht, damit abzuwägen, ob sie in das Haus in der Olive Street zurückkehren sollte oder nicht. Nachdem sie Shining City verlassen hatten, hatte sie zurückkehren wollen, aber es war spät gewesen. Keller fand es zu gefährlich. Es gab zu viele unbeantwortete Fragen, dachte er, zu viele lose Fäden.
    Aber nein. Alex wusste, dass das falsch war. So viele Fragen waren beantwortet worden.
    Sie hatte sich angezogen und geduscht, war in das Zimmer zurückgegangen und hatte Keller betrachtet. Er schlief friedlich. Es war kurz vor sieben Uhr morgens. Wann wirst du es ihm sagen? , dachte sie. Wann wirst du ihm das Buch zeigen, das du in der Bibliothek gefunden hast?
    Aber sie war noch nicht bereit. Alex lernte etwas über sich selbst, etwas, das Aldiss vielleicht die ganze Zeit schon gewusst hatte. Sie wollte gewinnen. Sie hatte das Gefühl, als gehöre ihr der Abendkurs. Ihr und nur ihr. Die einzige Möglichkeit, den Kurs wirklich zu beenden, bestand darin, jeden Aspekt erschöpfend zu behandeln. Dorthin zurückzugehen, wohin Aldiss sie führte. Sie musste in die Olive Street zurückkehren.
    Allein.
    46
    Als sie auf die Haustür des Rutherford’schen Hauses zuging, dachte sie an Shawna Wheatley und Abigail Murray, die toten Studentinnen von Richard Aldiss. Sie waren so weit gekommen, sie waren so nah dran gewesen. Und dann hatte etwas sie aufgehalten.
    Was hatten sie gefunden? Was hatten sie entdeckt, was zu ihrem …
    Nicht , dachte sie. Sie haben Fehler gemacht, die du nicht machen wirst. Dafür hat Aldiss dir zu viel mitgegeben.
    Sie klopfte an.
    Die Tür öffnete sich. Lydia Rutherford stand da, den Bademantel zusammengerafft, der Blick misstrauisch. Etwas an ihr hatte sich verändert. Weiß sie, warum ich hier bin?
    »Mrs Rutherford«, sagte Alex. »Es tut mir leid, dass ich so früh störe.«
    »Was wollen Sie?«
    Alles erstarrte. Dieser Augenblick – Alex hatte ihn morgens im Hotelzimmer eingeübt. War ihn im Kopf durchgegangen, hatte sich ihre Worte genau zurechtgelegt. Aber jetzt, da sie vor der Frau stand, bekam sie nichts heraus. Sie senkte ihren Blick auf die Veranda.
    »Charlie hatte eine schlechte Nacht«, hörte sie Lydia sagen, »er war richtig krank.«
    Alex schaute auf. »Das tut mir leid.«
    Etwas im Blick der Frau brach. Und da erkannte Alex, dass diese Frau nur eine Verbündete suchte. Sie wollte, dass jemand ihr sagte, dass alles gut werden, dass ihr Sohn es schaffen würde. Alex empfand Mitleid und sagte: »Ich weiß, wie es ist. Mein Vater … er ist todkrank.«
    Lydia trat zurück, sah Alex weiter an. Sie schien mit sich selbst zu kämpfen, abzuwägen, welches Ziel diese Studentin mit ihren zerzausten Haaren und schläfrigen Augen verfolgte. Schließlich besann sie sich eines
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