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Der Mann im Flur

Titel: Der Mann im Flur
Autoren: Marguerite Duras
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gewesen.
So hätte sie es mitunter gemacht. Mitunter hätte sie es auch ganz anders gemacht. Immer anders. Das sehe ich von ihr.
Sie hätte nichts gesagt, sie hätte nichts betrachtet. Gegenüber dem im dunklen Flur sitzenden Mann ist sie abgesondert unter ihren geschlossenen Lidern. Durch sie hindurch sieht sie das verwischte Licht des Himmels dringen. Sie weiß, daß er sie betrachtet, daß er alles sieht. Sie weiß es bei geschlossenen Augen, so wie ich, die ich zuschaue, es weiß. Es ist eine Gewißheit.

Ich sehe, daß ihre Beine, die sie bislang halb angezogen in sichtlicher Lässigkeit hatte hängen lassen, ich sehe, wie sie sie durch eine bewußte, anstrengende Bewegung immer fester aneinanderschiebt. Wie sie sie so fest aneinanderpreßt, daß ihr Körper sich dabei verformt und so nach und nach seinen gewohnten Umfang verliert. Und dann sehe ich, daß die Anstrengung plötzlich aufhört, und mit ihr auch jede Bewegung. Nun hat der Körper auf einmal die Gradheit eines endgültigen Bildes. Der Kopf ist auf den Arm zurückgesunken. Regungslos verharrt sie nun in dieser Schlafpose. Ihr gegenüber der schweigende Mann.
Vor ihnen die breiten, unwandelbaren hügeligen Gelände zum Fluß hin. Wolken kommen, schweben zusammen heran, folgen einander in gleichmäßiger Langsamkeit. Sie bewegen sich in Richtung der Flußmündung auf die unbestimmte Unermeßlichkeit zu. Ihre fahlen Schatten liegen leicht auf den Feldern, auf dem Fluß.
Aus dem Hause auf der flachen Höhe kommt keinerlei Geräusch.

Sie hätte von neuem begonnen, sich zu bewegen. Sie hätte das sehr langsam, langwierig getan vor dem, der zuschaut. Das Blau der Augen im dunklen Flur, die, wie sie weiß, in sie gebohrt das Licht trinken. Ich sehe, wie sie nun ihre Beine anhebt und sie vom übrigen Körper wegspreizt. Sie tut es genauso wie sie sie aneinandergeschoben hat, mit einer bewußten, anstrengenden Bewegung, so nachdrücklich, daß ihr Körper ganz im Gegensatz zu dem vorhergehenden Moment, sich ihrer Langwierigkeit wegen entstellt, sich bis zu einer möglichen Häßlichkeit verunstaltet. Sie hält wieder inne, offen so ihm gegenüber. Der Kopf ist immer noch vom Körper abgewandt auf den Arm gesunken. Nunmehr verweilt sie in dieser obszönen, bestialischen Pose. Sie ist häßlich geworden, sie ist geworden, wie sie als Häßliche gewesen wäre. Sie ist häßlich. Sie verharrt da, heute, in der Häßlichkeit.
Ich sehe die Enklave des Geschlechts zwischen den auseinandergezogenen Lippen, und daß der ganze Körper um sie herum in einem Brennen erstarrt, das sich steigert. Ich sehe nicht das Gesicht. Ich sehe wie die Schönheit unentschlossen in der Nähe des Gesichts schwebt, aber ich bringe es nicht zuwege, daß sie darin aufgeht bis sie ihr zu eigen wird. Ich sehe nichts als ihr abgewandtes Oval, die sehr reine, gespannte Fläche. Ich meine, daß die geschlossenen Augen grün sein dürften. Aber ich halte bei den Augen inne. Und selbst wenn es mir gelingt, sie lange in meinen zu bewahren, liefern sie mir doch nicht das ganze Gesicht aus. Das Gesicht bleibt unbekannt. Ich sehe den Körper. Ich sehe ihn ganz in einer aufdringlichen Nähe. Er trieft vor Schweiß, er liegt in einer Sonnenbeleuchtung von erschreckender Weiße.
Der Mann hätte noch gewartet.
Und dann hätte sie es erreicht. Die Sonne brennt so heiß, daß sie, um sie auszuhalten, schreit. Sie beißt sich an der Stelle des Ärmels, wo ihr Kleid schon zerrissen ist, und sie schreit. Sie ruft einen Namen. Und daß man komme.
Wir hören, daß man losgeht, sie und ich. Daß er sich bewegt hat. Daß er aus dem Flur getreten ist. Ich sehe ihn und ich sage ihr, daß er kommt. Daß er sich bewegt hat, daß er aus dem Flur getreten ist. Daß seine Bewegungen zuerst ruckartig und kurz sind, als könne er nicht mehr gehen, und dann, daß sie langsam, ganz langsam, übertrieben langsam werden. Daß er kommt. Daß er da ist. Daß ich das Blau seiner Augen sehe, die über sie hinwegblicken, zum Fluß hin.

Er steht vor ihr, sein Schatten fällt auf ihre Gestalt. Durch ihre Lider hindurch muß sie das Dunkeln des Lichts wahrnehmen, die hohe Gestalt seines über ihr stehenden Körpers, in dessen Schatten sie gefangen ist. Die Unterbrechung des Brennens läßt den in den Kleiderstoff verbissenen Mund sich dehnen. Er ist da. Die Augen immer noch geschlossen, läßt sie ihr Kleid los, legt ihre Arme beiderseits an ihren Körper, in die Mulde ihrer Hüften, verändert die Spreizung ihrer Beine, biegt sie
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