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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf
Autoren: Sophie Hannah
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was ihr beliebt – für uns wird sie immer eine Heldin bleiben. Ohne die Schulleiterin, über die ich mich immer lustig gemacht habe, wären Dinah und Nonie heute vermutlich nicht mehr am Leben. Jo war nicht die Einzige, die auf die Idee gekommen war, am Freitag, den dritten Dezember, nachmittags in Rawndesley bummeln zu gehen. Mrs Truscott traf sie mit den beiden Mädchen bei John Lewis, und ihr fiel auf, dass Nonie weinte und Jo gar nicht darauf zu reagieren schien. Als Nonie ihre Schulleiterin entdeckte, rannte sie zu ihr, ignorierte Jos lauten Befehl, sofort zu ihr zurückzukommen, und sagte der Lehrerin, sie wolle nach Hause, aber Jo würde sie nicht lassen. Sie hatte Angst. Jo und Dinah hatten den Plan ausgeheckt, im Wald von Silsford im Schnee zu spielen, und Nonie wollte das nicht.
    Mrs Truscott ging zu Jo, die sie erst anfuhr, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, um sich dann plötzlich völlig unterwürfig zu verhalten. Die Schulleiterin sagte später gegenüber der Polizei, sie habe das Verhalten der Frau derart beunruhigend gefunden, dass sie darauf bestand, die Kinder mitzunehmen und nach Hause zu bringen.
    Der Wald von Silsford ist etwa eine halbe Meile von der Blantyre-Schlucht entfernt. Die Gemeindeverwaltung hat vor kurzem angekündigt, die Straße besser zu sichern und eine Absperrung anzubringen, damit niemand sein Auto in den Abgrund steuern kann.
    »Lasst uns nicht über Wein diskutieren«, sagt Luke. »Reden wir lieber über die brillante Aufführung, die wir gerade gesehen haben, das brillante Stück der brillanten neuen Dramatikerinnen Dinah und Nonie Lendrim.« Am Ende ist es Nonie gelungen, sich für Hektors zehn Schwestern einzusetzen. Dank Nonie erlitten sie jetzt ein weniger grausiges Schicksal. Sie wurden mit Schlamm beworfen, anstatt zu sterben.
    »Es hat euch also gefallen?«, fragt Dinah zum etwa zwanzigsten Mal. »Wirklich?«
    »Wirklich«, versichere ich. »Wir fanden es wunderbar. Alle fanden es wunderbar – ihr habt ja den Applaus gehört. Ihr seid beide unglaublich begabt.«
    »Das müsst ihr ja sagen«, bemerkt Nonie. »Ihr seid unsere Eltern.«
    Luke drückt mein Knie unter dem Tisch.
    »Ihr seid unsere Eltern«, beharrt Dinah.
    »Sag es ihnen«, flüstert Nonie ihr zu.
    Ich zwinge mich, den Bissen herunterzuschlucken, den ich im Mund habe. Als Nonie ihrer Schwester zum letzten Mal befahl, mir etwas zu sagen, erfuhr ich, was »Lieb – Grausam – Liebgrausam« bedeutet. Als Nonie mir erzählte, welche Angst sie hatte, als Jo versuchte, sie zu zwingen, im Schneetreiben in den Wald von Silsford zu fahren, wie sie fast nicht den Mut gehabt hatte, sich in dem Laden an Mrs Truscott zu wenden, wollte ich das auch nicht hören – es wühlte mich zu sehr auf. Bitte, lass es diesmal etwas Gutes sein.
    »Wir haben eine Entscheidung getroffen«, verkündet Dinah und legt ihr Besteck hin. »Ihr braucht uns nicht zu adoptieren. Wir sind ja bereits eine Familie, ihr seid bereits unsere Eltern. Wir brauchen kein Stück Papier, das uns das bestätigt.«
    »Da hast du Recht«, sagt Luke. »Wir werden eine Familie sein, ob wir euch nun offiziell adoptieren dürfen oder nicht.«
    »Aber wenn ihr aufhört, es zu versuchen, kann nichts Schlimmes passieren«, sagt Dinah. »Niemand kann sagen, dass ihr uns nicht adoptieren dürft.«
    Nonie nickt zustimmend.
    Luke schaut mich an, eine Frage in den Augen. Ich sende eine Frage an ihn zurück: Soll ich antworten? Ich will es nicht übernehmen. Oder vielleicht doch, denn ich werde auf gar keinen Fall aufgeben, egal was Luke sagt. Egal, was irgendjemand sagt. »Wenn ihr mit Sicherheit wüsstet, dass wir euch ganz offiziell adoptieren können, würdet ihr es dann wollen?«, frage ich die beiden Mädchen.
    »Aber wir wissen es ja eben nicht mit Sicherheit«, sagt Nonie.
    »Sie sagte ›wenn‹ und ›wüsstet‹«, fährt Dinah sie an. »Weißt du nicht, was das bedeutet?«
    »Ihr würdet es wollen, oder?«, sagt Luke. »Ihr befürchtet, genauso wie wir, dass es nicht nach Wunsch verlaufen könnte. Deshalb wollt ihr, dass wir aufhören, es zu versuchen.«
    Beide Kinder nicken.
    »Das können wir nicht tun«, erkläre ich. »Luke und ich haben ebenso große Angst wie ihr, aber wenn wir alle wollen, dass es dazu kommt, werden wir es weiter versuchen. Und … es könnte ja auch gut ausgehen.«
    »Er wird höchstwahrscheinlich gut ausgehen«, sagt Luke.
    »Amber?«
    »Was ist, Nones?«
    »Was wird mit Jo passieren?«
    »Ich weiß es
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