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Der falsche Zeuge

Der falsche Zeuge

Titel: Der falsche Zeuge
Autoren: Stella Blómkvist
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ausbreitet.
    »Aaah!«
    Und genehmige mir noch einen Schluck.
    Ich habe lange auf diesen ersten Drink des Tages gewartet. Seit heute Morgen. Mit wachsender Ungeduld des ganzen Körpers.
    Aber das Warten hat sich gelohnt. Wie immer.
    Ich habe keine Lust, den Anrufbeantworter abzuhören. Lasse ihn bis morgen warten. Lege mich stattdessen gleich auf mein rotes Sofa im Wohnzimmer. Mit dem Glas in der Hand. Recke mich nach der Fernbedienung. Mache das Fernsehen an.
    Die Zehn-Uhr-Nachrichten sind noch dran. Die Bilder vom Radau auf der Althingstribüne werden wiederholt. Salvör auf der Überholspur in den Tod. Ich erinnere mich noch gut an ihre Stimme aus den Radionachrichten. Sie brachte viele Berichte aus Politik und Wirtschaft. Konnte die Bosse manchmal ganz schön hart rannehmen.
    Der Nachrichtengeier erklärt, dass die Ermittlungen in vollem Gang seien. Eine speziell für diesen Fall gegründete Sonderkommission würde daran arbeiten, diesen folgenschweren Fall zu lösen. Es würden immer noch einige derer verhört, die auf der Zuschauertribüne festgenommen worden wären. Auch morgen würde man damit fortsetzen. Man arbeite hauptsächlich daran, so gut wie eben möglich zu rekonstruieren, welcher der Beteiligten was zum Tathergang beigetragen hat, der mit dem tödlichen Sturz der Journalistin in den Plenarsaal endete.
    Einerseits würden die Aufnahmen der verschiedenen Fernsehsender sehr genau angesehen und andererseits Beteiligte und Zeugen dieses bedauernswerten Vorfalls intensiv verhört.
    Bisher sei noch kein Antrag auf Untersuchungshaft gestellt worden, aber eine Entscheidung sei morgen zu erwarten.
    Die meisten der anderen Nachrichten sind altbekannt. Der Gesundheitsminister kündigt an, das Budget der großen Krankenhäuser weiter zu kürzen. Irgendein Finanzberatungsheini, der sich über die wachsende Verschuldung der Haushalte wegen Wirtschaftsaufschwung, hoher Zinsen und Inflation auslässt.
    Die Privatisierung der isländischen Elektrizitätswerke ist auch schon gut vorangekommen. Am Wochenende wird eine Delegation von Bushron, einem internationalen Energiekonzern, im Land erwartet, der sein Interesse erklärt hat, für den Mehrheitsanteil in Landsvirkjun {} zu bieten und somit das Unternehmen zu übernehmen. Der oberste Boss der Energieversorgung hat sichtlich Gefallen am Besuch solcher Typen.
    Mitten im Interview mit Angantýr, dem Minister, klingelt das Telefon. Ich stelle das Fernsehen leiser. Stehe auf, um dranzugehen.
    »Ich heiße Drífa«, meldet sich eine jugendliche Stimme. »Hast du meine Nachricht nicht bekommen?«
    »Nein.«
    »Ich habe am frühen Abend auf den Anrufbeantworter gesprochen. Ich muss dich unbedingt treffen.«
    »Dann komm morgen Nachmittag ins Büro.«
    »Darf ich nicht jetzt vorbeikommen? Ich bin völlig durcheinander, es ist etwas Schreckliches passiert.«
    »Ich bin beschäftigt.«
    »Aber ich muss umgehend mit einem guten Anwalt sprechen.«
    »Warum mit mir?«
    »Weil du doch den Sigurdur Pálmar kennst und daher weißt, dass er unschuldig sein muss.«
    »Was für einen Pálmar?«
    »Sigurdur Pálmar. Er behauptet, dass ihr euch früher im Osten einmal gut gekannt habt, stimmt das nicht?«
    Ich habe das Gefühl, als wäre mein Körper plötzlich tiefgefroren bis auf die Knochen. Zu einem Eisberg geworden. Oder zu Stein, wie in den alten Gruselfilmen.
    Ich lehne mich langsam an die Wand und schütte mir eine neue Dosis feurigen Alkohols in den Rachen.
    »Hast du was gesagt? Bist du noch am Telefon?«
    »Wer bist du eigentlich?«, frage ich mit rauer Stimme.
    »Ich bin Drífa, die Frau von Sigurdur Pálmar. Habe ich vergessen, mich vorzustellen? Das kann gut sein, ich bin so aufgebracht.«
    »Warum?«
    »Ich möchte darüber nicht am Telefon sprechen«, sagt sie.
    »Darf ich nicht kurz bei dir vorbeikommen? Ich bleibe auch nicht lange.«
    Natürlich sollte ich Nein sagen. Mache es aber nicht. Weiß auch nicht, warum. Vielleicht bin ich trotz allem neugierig, sie zu sehen?
    Uff!
    Manchmal benehme ich mich wirklich, als wäre ich nicht ganz dicht.
    Ich gieße mir noch eine Portion Feuerwasser ins Glas. Gehe dann mit langsamen Schritten die Treppe herunter und ins Büro. Setze mich in meinen Chefsessel. Diesen schwarzen mit der hohen Rückenlehne. Und genehmige mir noch ein Glas.
    Blocke aber alle Gedanken an die Vergangenheit ab, während ich auf Drífa warte.
    Auf die Frau von Siggi Palli.
    Er gehört zu dem, was längst vergessen ist. Ganz zuunterst in der dunkelsten
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