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Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee

Titel: Der Erdsse Zyklus 05 - Rueckkehr nach Erdsee
Autoren: Ursula K LeGuin
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die Bank neben der Haustür. Die Sonne war noch nicht über den Berg, aber die Luft war schon trocken und warm.
    »Und nun sag mir, was dich hierher führt, Erle. Aber da du über Rok gekommen bist, sag mir zuvörderst, ob die Dinge im Großhaus gut stehen.«
    »Ich habe es nicht betreten, Herr.«
    »Ach.« Ein neutraler Ton, aber ein scharfer Blick.
    »Ich war nur im Immanenten Hain.«
    »Aha.« Ein neutraler Ton, ein neutraler Blick. »Ist der Formgeber wohlauf?«
    »Er sprach zu mir: >Überbring meinem Herrn meine Liebe und meine Ehre und sage zu ihm, ich wünschte, wir könnten zusammen im Hain wandeln, wie wir es früher stets taten. <«
    Sperber lächelte ein wenig traurig. Nach einer Weile sagte er: »So. Aber ich denke, er hat dir mehr zu sagen aufgetragen als das.«
    »Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen.«
    »Guter Mann, wir haben noch den ganzen Tag vor uns. Und ich mag es, wenn eine Geschichte von Anfang an erzählt wird.«
    Und so erzählte Erle ihm seine Geschichte von Anfang an.
    Er war der Sohn einer Hexe, geboren in der Stadt Elini auf Taon, der Insel der Harfner.
    Taon liegt am südlichen Rande der Ea-See, nicht weit von der Stelle, wo Solea lag, bevor die See sie verschlang. Das war das alte Herz der Erdsee. All jene Eilande hatten schon Staaten und Städte, Könige und Zauberer besessen, als Havnor noch ein Land voller einander befehdender Stammeshorden und Gont eine von Bären regierte Wildnis gewesen war. Menschen, die auf Ea oder Ebea, Enlad oder Taon geboren sind, betrachten sich, selbst wenn sie vielleicht nicht mehr denn die Tochter eines Grabenbauers oder der Sohn einer Hexe sind, als Nachfahren der Älteren Magier, die die Abstammung jener Krieger teilen, die in den dunklen Jahren für Königin Elfarran starben. Aus diesem Grunde legen sie oft feine Manieren und ein höfliches Auftreten an den Tag, welche freilich mitunter von einem ungebührlichen Hochmut überschattet werden, sowie eine großzügige, keineswegs berechnende Art zu denken und zu reden, eine Art, sich über bloße Fakten und Alltäglichkeit emporzuschwingen, welcher diejenigen misstrauen, deren Denken sich eher um Handelsgüter dreht. »Winddrachen ohne Schnüre«, sagen die Reichen von Havnor über solche Leute. Aber sie sagen es nicht in Gegenwart des Königs, Lebannen vom Hause Enlad.
    Die besten Harfen der Erdsee werden auf Taon gebaut, und dort selbst sind auch Musikschulen, und viele berühmte Sänger und Sängerinnen der Lieder und Heldentaten wurden dort geboren oder lernten dort ihre Kunst. Elini indes, erzählte Erle, sei bloß ein Marktflecken in den Hügeln, ohne Musik, und seine Mutter sei eine arme Frau, wenn auch nicht so arm, dass sie hätten Hunger leiden müssen. Sie habe ein Muttermal, einen roten Fleck, der sich von der rechten Augenbraue und dem rechten Ohr bis hinunter über ihre Schulter ziehe. Viele Frauen und Männer mit solch einem Schandfleck werden notgedrungen Hexe oder Zauberer; sie sind dazu bestimmt, sagen die Leute. Brombeere lernte Zauberformeln und beherrschte die gewöhnlichste, einfachste Art der Hexenkunst. Sie hatte keine echte Begabung dafür, aber sie hatte eine Art an sich, die fast so gut war wie die Begabung selbst. Sie bestritt damit ihren Lebensunterhalt und unterwies ihren Sohn nach besten Kräften, und sie sparte genug, um ihn bei dem Zauberer in die Lehre gehen zu lassen, der ihm seinen wahren Namen gab.
    Von seinem Vater sprach Erle nicht; denn er wusste nichts von ihm. Brombeere hatte nie über ihn gesprochen. Auch wenn sie nicht zölibatär zu leben pflegten, verbrachten Hexen nur selten mehr als eine oder zwei Nächte mit ein und demselben Manne, und es kam nur selten vor, dass eine Hexe überhaupt einen Mann heiratete. Weit häufiger lebten zwei von ihnen zusammen, und das nannte man Hexenehe oder Sie-Treuegelöbnis. Das Kind einer Hexe hatte dann eine Mutter oder zwei Mütter, aber keinen Vater. Das verstand sich von selbst, und Sperber stellte auch dahingehend keine Fragen. Aber er erkundigte sich nach Erles Ausbildung.
    Der Zauberer Gannet hatte Erle die wenigen Worte gelehrt, die er von der Wahren Sprache kannte, sowie ein paar Zaubersprüche des Findens und der Sinnestäuschung, für die Erle, wie er sagte, gar keine Begabung an den Tag gelegt hätte. Gleichwohl erweckte er so viel Interesse bei Gannet, dass dieser sein wahres Talent entdeckte. Erle war ein Ganzmacher, ein Wiederhersteller. Er konnte zusammenfügen. Er konnte ganz machen. Ein zerbrochenes
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