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Depeche Mode

Depeche Mode

Titel: Depeche Mode
Autoren: Serhij Zhadan
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Bänke, aber stur sammeln sie ihn gleich wieder auf und zerren ihn zu ihren Stammplätzen, weit weg von den Ordnern, weit weg von den Eisverkäufern, überhaupt – weit weg vom Fußball, so wie sie ihn verstehen.
     
    18.25
    Das nächste Mal kommt Dog Pawlow erst im Stadion wieder zu sich, wie gut, mit Freunden hier zu sitzen, denkt er, auf einer Bank, unter Bäumen, die rauschen und sich nach allen Seiten neigen, nein, denkt er plötzlich, das sind keine Bäume, aber was ist es dann?
     
    Einige Sektoren weiter, links von ihnen, stehen die gegnerischen Fans im schweren Juniregen. Es sind ein paar Dutzend, schon morgens am Bahnhof angekommen, hatten den ganzen Tag die Miliz auf den Fersen, im Stadion wurde ihnen ein gesonderter Sektor zugewiesen, wo sie jetzt traurig ihre klatschnassen, schlaffen Fahnen schwenken. Unzufrieden mit dem Spielstand und dem Wetter durchbrechen unsere Leute schon vor der Pause die Absperrung und fangen an, die Gäste zu verprügeln. Vom Spielfeld zieht eine Einheit Offiziersanwärter der Feuerwehr herauf, der Miliz fällt schließlich nichts besseres ein, als alle zusammen aus dem Stadion zu werfen und die Leute noch während der ersten Halbzeit zum Ausgang zu drängen; alle anderen vergessen natürlich sofort den Fußball und feuern unsere Jungs auf den Rängen an, auch die Mannschaften kümmern sich mehr um die Prügelei als um das Spiel, ist doch interessant, mal was Neues, auf dem Feld war ja sowieso alles klar – irgendeine Schiebung gibt’s beim Spiel immer, aber das – Mensch, Randale, richtiges Rugby, auch die Feuerwehrleute kriegen schon eins übergebraten, da ist die erste Halbzeit um und die Mannschaften bewegen sich widerwillig auf den Tunnel zu, die Miliz trägt die letzten Gäste hinaus, als das Spiel wieder beginnt, ist der Sektor leer. Nur die zertretenen und zerrissenen Fahnen liegen schwer in den Pfützen, wie einstmals die Nazi-Standarten auf dem Roten Platz, wer überlebt hat, kehrt zufrieden in den eigenen Sektor zurück, nur die radikalsten und prinzipientreusten Fans begeben sich in Richtung Bahnhof – um die anderen zu erwischen, bevor sie heimfahren; plötzlich, so in der fünfzehnten Spielminute der zweiten Halbzeit, kommt ein letzter Auswärtiger angerannt – ein ganz junger Kerl, abgerissen und durchnäßt, wo der bloß gesteckt hat, das Interessanteste hat er jedenfalls verpaßt, er kommt also angerannt und sieht die Spuren des Kampfes und die zerrissenen Fahnen seiner Mannschaft und keinen seiner Freunde; wo sind sie? – ruft er in Richtung der erstarrten Ränge, he, wo sind sie alle?! – aber niemand kann es ihm sagen, schade um den Kerl, sogar die Ultras sind verstummt, haben ihr langgezogenes »Schiri, schwule Sau« für einen Moment unterbrochen, schauen irritiert auf den Gast, echt peinlich, irgendwie ein Looser, der Typ, er schaut auf die verstummten Sektoren und auf das nasse Spielfeld, wo die Mannschaften im Schlamm wühlen, schaut in den kalten und starren Himmel und schnallt es nicht – was ist los, wo sind die anderen, was haben diese Dumpfbacken mit ihnen gemacht, er greift sich eine zerbeulte Pionierströte, in die vorher einer seiner gefallenen Freunde geblasen hat, und beginnt herzzerreißend zu trompeten, so herzzerreißend und verzweifelt, daß auch der letzte ganz verdattert ist – ja muß das denn sein, so zu trompeten, abgewandt vom Feld und von den Ultras und von den verstummten und beschämten Feuerwehrleuten, einen nur ihm allein bekannten, lauten und falschen Ton zu trompeten, in den er all seinen Mut legt, seine Hoffnungslosigkeit und seine jungenhafte Liebe zum Leben …
     
    19.30
    Direkt unter dem Dach, über den hintersten Reihen, sitzen schläfrige, schläfrig gurrende Tauben, gewohnt an die Niederlagen unserer Mannschaft leben sie so vor sich hin und stören niemanden, komische nasse Schwärme, Dog hört sie noch im Schlaf, sie tauchen in seinen alkoholisierten Prostrationen auf und zerren ihn daraus hervor, ihr wißt schon, dieser komische Zustand, wenn du mit einem Auge vorne Licht siehst und mit dem anderen, wie soll ich sagen – mit dem anderen siehst du etwas, das man vielleicht die andere Seite des Lichts nennen könnte, versteht ihr, anders ausgedrückt – wenn man dir sehr viel auf einmal zeigt, du aber überhaupt nichts mehr sehen kannst. Und auch nicht willst. Darum rutscht Dog auf den Zementboden und kriecht in Richtung Durchgang, dabei zerreibt seine gemarterte Brust Schalen von Sonnenblumenkernen, Kippen
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