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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus
Autoren: Judith Lennox
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und sich umsah, merkte sie, daß die vertraute Umgebung etwas Tröstliches hatte. Ein wichtiger Teil ihres Lebens war mit Joe gestorben, aber hier endlich erhielt sie die Bestätigung, daß jene fahre Wirklichkeit gewesen waren. Sie hatte Joe in Hawksden nicht gefunden, und es war ihr verwehrt worden, sich der lang vergangenen verzauberten Tage zu erinnern, die sie zu dritt in Long Ferry verbracht hatten. Aber hier in der Wohnung, auf dem alten Sofa mit Joes Sommerjacke um die Schultern, konnte sie richtig um ihn trauern. Sie fegte und wischte die Zimmer und entfernte alle Spuren der leeren Monate. Als sie das Gas angezündet hatte und das Wasser kochte, konnte sie ihn beinahe mit schnellem Schritt die Treppe heraufkommen hören, konnte beinahe sein Gesicht sehen, als er die Tür öffnete und ihr entgegenlächelte.
    Oft sprach sie mit ihm. Abends, wenn sie von Seminaren und Vorlesungen in der medizinischen Fakultät müde nach Hause kam. »Ein fürchterlicher Tag, Joe – ich mußte eine Lunge sezieren und hab sie fallen lassen. Und die Untergrundbahn war gesteckt voll, und ich hab vergessen einzukaufen, wir haben nur noch die Kekse hier. Aber die werden schon reichen, oder?«
    Morgens, wenn sie sich fertigmachte. »Mantel, Tasche, Bücher. Meinst du, es wird Regen geben? Ja, ich nehme auf jeden Fall den Schirm mit. Ach – und meine Mütze – danke, Joe.« Sie wußte, hätte jemand sie gehört, er hätte sie für verrückt gehalten, aber das kümmerte sie nicht. Manche Tage waren besser als andere. An den guten Tagen wandelten sich die quälenden Zweifel an seinem Tod, die in Spanien ihres Schmerzes gespottet hatten, in ein wohltuenderes Gefühl, ihn weiterhin an ihrer Seite zu haben. An den schlimmen Tagen prallte ihre Stimme gegen leere Wände.
    Sie kaufte Zeitungen, kam aber bei der Lektüre nie über die Schlagzeilen hinaus. Nachts träumte sie vom Feldlazarett. Erlebnisse, die sie längst vergessen geglaubt, wurden wieder wach. Sie wußte, daß das republikanische Spanien fallen und es einen neuen Krieg geben würde. Voll Bitterkeit dachte sie, daß in ein paar Jahren alles von neuem beginnen würde. Sie würde dabei helfen, die Scherben einzusammeln.
    Einen Monat nach Beginn ihres Studiums erhielt sie einen Brief von Helen. Beigelegt war eine Einladung zur Hochzeit von Helen und Adam. Robin legte sie auf den Kaminsims und begann im Geist schon einen Absagebrief zu verfassen. Dann las sie, was Helen geschrieben hatte.
    »Erinnerst Du Dich noch, daß wir uns einmal versprochen haben, die wichtigen Ereignisse im Leben einer Frau gemeinsam zu feiern? Wir haben Maias Hochzeit gefeiert und Deine erste Stellung, Robin, aber ich hatte nie etwas zu feiern. Aber jetzt endlich ist es soweit. Ich werde Adam heiraten, den ich liebe, und in unseren Flitterwochen reisen wir nach Schottland. Es wird nur eine kleine Hochzeit – ich kann mir vorstellen, wie sehr Du Hugh und Joe vermißt, aber es würde mir soviel bedeuten, wenn wir drei wieder einmal zusammenrein könnten. Bitte komm.«
    Am Tag von Helens Hochzeit regnete es. Robins Gedanken wanderten, während sich Helen und Adam das Jawort gaben. Rastlos, gelangweilt schweifte ihr Blick über die Gäste. Adams Verwandte, alle groß und dunkel und stämmig wie Adam. Dr. und Mrs. Lemon, die sich in ihrem Staat sichtlich nicht wohl fühlten. Und sie selbst und Maia. Als sie Maia musterte, verspürte sie wie immer eine Art leeren Hasses.
    Draußen vor der Kirche machte der Regen den Reis matschig und klebrig, und das Konfetti hinterließ farbige Kleckse auf Helens cremefarbenem Strohhut und dem kobaltblauen Kostüm. Adam nahm Helen im strömenden Regen in die Arme und küßte sie. Jemand fotografierte, und danach fuhren sie alle, klatschnaß und lachend, zum Haus der Hayhoes. »Ich bin seit Jahren nicht mehr Bus gefahren«, sagte Maia, und Robin zog ihren Finger durch das Kondenswasser an der Fensterscheibe.
    Helen hatte ein kaltes Mittagessen vorbereitet. Das Haus war klein und gefällig, ein viktorianisches Handwerkerhäuschen, das Adam mit schönen Möbeln ausgestattet und Helen mit geblümten Vorhängen und Kissen dekoriert hatte. Robin, die die beiden beobachtete, sah zwischen ihnen eine Art ungezwungener Vertrautheit, die sich bei manchen Paaren erst nach Jahren des Zusammenlebens einstellt. Einer vollendete die Sätze des anderen, einer las dem anderen die Wünsche von den Lippen ab. Adams Blicke folgten Helen, wo sie ging und stand. Er sah ein wenig benommen aus, wie
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