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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau
Autoren: Annette Hohberg
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auch nicht so genau hin. Die begnügen sich mit dem ersten Blick.«
    »Tun wir das nicht alle mehr oder weniger?«
    »Weil wir von anderem abgelenkt werden, keine Zeit haben, lauter Mist machen müssen, um über die Runden zu kommen. Wer kann sich schon wirklich und wahrhaftig den Dingen widmen …«
    »Tust du das denn nicht in deinem Job?«
    »Ich versuch’s, klar. Aber dann gibt es inhaltliche Vorgaben der Chefredakteure und begrenzte Zeichenzahlen und Abgabetermine, und in so einem Korsett dringt man nur selten zum Kern einer Sache vor. Berufung statt Beruf – an den Quatsch glaub ich schon lange nicht mehr. Und trotzdem gebe ich in diesem begrenzten Rahmen mein Bestes. Den Leuten scheint’s zu reichen.«
    »Klingt nicht gerade enthusiastisch.«
    »Ach komm, Enthusiasmus ist was für Träumer.«
    Francesca sah sie an; in ihrem Blick las Martha erst Erstaunen, schließlich Ärger. Es war die Art Ärger, den Mütter zeigen, wenn ihre Kinder etwas ausgefressen haben. Vielleicht haben ihn auch Lehrer in petto für Schüler, die ihre Vokabeln nicht gelernt haben oder den Unterricht stören. Francesca war schließlich Lehrerin.
    »Hast du denn nicht auch manchmal das Gefühl, das Leben läuft an dir vorbei?«, setzte Martha vorsichtig nach. Es klang, als wollte sie das eben Gesagte mit einer Entschuldigung versehen.
    Francesca blies langsam den Rauch aus. »Nein. Ich denke eher, es läuft mir davon. Es ist gut, und ich will’s festhalten, aber es hat sich nun mal für Hochgeschwindigkeit entschieden. Also nehme ich mit, was ich kriegen kann.«
    »Ist wohl alles in allem die glücklichere Lebensvariante …«
    »Du bist es immer selbst, die entscheidet.«
    »Aber es gibt Pflichten, es gibt Verantwortung …«
    »Natürlich. Aber es gibt auch den freien Willen. Was, zum Beispiel, würdest du gern mal tun?«
    Martha überlegte. Sie überlegte lange, und Francesca wartete in ihr Schweigen hinein. »Vielleicht zwei, drei Monate nach Italien gehen und ein anderes Leben leben und Italienisch lernen … bei jemandem wie dir.«
    Francesca lächelte. »Und warum tust du’s nicht?«
    »Siehe oben.«
    »Deine Tochter braucht dich nicht mehr …«
    »Aber …«
    »Sagtest du nicht, sie ist über zwanzig?«
    »Und mein Vater?«
    »Um den kümmern sich andere.«
    »Ich kann nicht einfach alles hinwerfen.«
    »Du willst es nicht.«
    Jetzt war es Martha, die ärgerlich schaute. »Wir kennen uns gerade mal vier Stunden und …«
    »… haben schon den ersten Streit«, grinste Francesca. »Ich würde sagen, das sind beste Voraussetzungen. Komm«, sie streckte Martha die Hand hin, »lass uns hier oben noch einen Spaziergang auf dem Höhenweg machen.« Ihre Hand war klein, und sie fühlte sich kühl und sehnig an. Eine entschlossene Hand, dachte Martha und willigte ein.
     
    Am Abend besuchten sie eine Trattoria unweit des Hafens. Draußen standen Männer vor der Tür, rauchten und tranken Wein und schickten den Frauen, die hineingingen, Komplimente nach. Drinnen begrüßte die Wirtin Francesca mit einem Nicken und wies ihnen einen Platz in der Ecke zu.
    Sie aßen eine Platte mit Muscheln und Krebsen und kleinen eingelegten Fischen und danach Pasta mit Tomaten und frischem Basilikum. Martha merkte, wie viel Hunger sie hatte. Das Essen war einfach und gut. Die Grappa, die man ihnen danach ungefragt auf den Tisch stellte, brannte in der Kehle, doch Francesca meinte, sie müssten zumindest einen Schluck davon trinken.
    Sie sprach jetzt von ihrem Bruder, der sich gerade von seiner Frau getrennt hatte. Seinen Sohn, den er über alles liebe, sehe er kaum noch, erzählte sie. Das klassische Scheidungskinddrama eben.
    »Warum ist die Ehe auseinandergegangen?«, fragte Martha.
    »Erst hatte er eine andere Frau, dann hatte sie einen anderen Mann. Na ja, sie ist bei dem anderen geblieben.«
    »Und dein Bruder?«
    »Ist wieder mal auf der Suche. Er hat derzeit eine Freundin, aber wenn du mich fragst – das wird nichts mit den beiden. Sie erzieht zu viel an ihm herum, und das kann er nicht leiden.«
    »Du kennst ihn ziemlich gut, scheint mir.«
    »Ja, wir sehen uns oft. Und wenn wir uns nicht sehen, telefonieren wir. Er ist ein wunderbarer Beobachter, ein guter Zuhörer, ein toller Erzähler. Wahrscheinlich ist er ein schlechter Ehemann, aber das ist nicht mein Problem.«
    »Ist er jünger als du?«
    »Nein, drei Jahre älter.«
    »Wovon lebt er denn? Ich meine, wenn seine Bücher nicht veröffentlicht werden …«
    »Er schreibt hin
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