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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
Autoren: Catherina Rust
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vergleichsweise harmloses Großstadttier aus, um mich Jahrzehnte zurückzuversetzen.

    Aparai bei der traditionellen Bemalung mit Kurupo.
     
    Selbst der Klang der Sprache, die ich längst vergessen glaubte, war auf einmal wieder da. Meiner ersten Sprache – Aparai. Aus den vielen einzelnen Puzzlestücken meiner eigenen Erinnerung und der Lektüre der Tagebücher und Aufzeichnungen meines Vaters wurde mit der Zeit ein immer engmaschigerer Erinnerungsteppich. Sobald ich ein paar Minuten Zeit hatte, machte ich mir Notizen. Und anschließend erzählte ich meiner Tochter die Geschichten aus Mashipurimo.
    Es war beinahe so, als würde ich nach vielen Jahrzehnten der Abwesenheit wieder nach Hause kommen. Dabei umarmte ich meine Kindheitserinnerungen wie lang verloren geglaubte Freunde, die man gerne anderen Menschen vorstellen möchte, weil man sie schätzt und für einzigartig befindet. Dass aus diesen vielen Fragmenten eines Tages ein Buch werden könnte, habe ich erst begriffen, als meine Tochter mit ihrer Fragerei auch nach Monaten nicht aufhören wollte. »W ie bist du denn überhaupt in den Urwald gekommen?« – »W eil mich meine Eltern als Kleinkind einfach mitgenommen haben …« – »U nd warum haben dich deine Eltern einfach mitgenommen? Warum wollten sie unbedingt dorthin?« Und warum und warum und warum. Diese Fragen ließen sich kaum in wenigen Sätzen beantworten. Ich musste also weiter ausholen.

Meine Mutter und ich in einem Boot, das Palmblätter geladen hat
     

Mashipurimo – Heimat im Regenwald
     
    Mein Vater hatte sich in seinem Leben mehrmals anhören müssen, er sei ein ewiger Junggeselle, der eigentlich überhaupt nicht zum Familienoberhaupt tauge. Jedenfalls hatten ihm das seine Freundinnen wiederholt attestiert, bevor sie ihn in aller Freundschaft verließen, weil er lieber in den Urwald zurückwollte, um dort zu forschen, als in Deutschland eine bürgerliche Existenz aufzubauen, wie es in seiner Generation gemeinhin üblich war. Und so kam es, dass mein Vater lange Zeit allein durch Südamerika reiste. Erstmals 1951 , mit Anfang Zwanzig. Im Grenzgebiet von Französisch-Guayana und Surinam sammelte er zoologisches Material für Naturkundemuseen und verfasste Berichte über die Fauna und Flora der Länder. Bei seiner Reise traf er auf Ureinwohner, die noch nie zuvor einen Weißen zu Gesicht bekommen hatten. Seine Faszination für ihre Sprache und ihre Kultur war augenblicklich geweckt. Von da an hielt ihn nichts mehr in Deutschland. Waren genug Forschungsaufträge für die nächste Reise beisammen, ging es zum Bedauern seiner Eltern und Großeltern wieder zurück in den Regenwald.
    Während eines kurzen Aufenthalts in der alten Heimat lernte er schließlich eine junge Fremdsprachenkorrespondentin kennen. Meine Mutter. Begeistert über die Aussicht, ins Ausland zu gehen, heuerte sie als Assistentin bei ihm an. Aus einem Team, das gemeinsam in den Urwald zog, wurde irgendwann ein Paar. Und was als zeitlich begrenztes Projekt begann, entwickelte sich alsbald zum Lebensmodell, das durch meine Geburt in Deutschland zwar unterbrochen, aber keineswegs beendet wurde. Aus Sicht meiner Eltern sprach nichts dagegen, mit einem Kind im Urwald zu leben. Jedenfalls so lange es noch nicht schulpflichtig war. Dort gab es keine gefährlichen Schnellstraßen, keine Abgase, keine giftige Chemie; dafür war man den ganzen Tag an der frischen Luft, beschützt und umsorgt von einer indianischen Stammesgemeinschaft, die wie eine Großfamilie und nach urzeitlichen Traditionen zusammenlebte. Besser ging es doch kaum.
    In meinen Augen haben sich meine Eltern damals richtig entschieden. Ich kann mir jedenfalls keine bessere Kindheit vorstellen als am Amazonas. Und manchmal bedauere ich, dass ich meiner Tochter keine ähnliche Erfahrung bieten kann. Ich bin mir sicher, sie hätte sich dort genauso wohlgefühlt wie ich. Dennoch weiß ich nicht, ob ich in einer ähnlichen Situation den gleichen Mut gehabt hätte wie meine Eltern damals.
    Im Dorf des Tapirs
     
    Von unserer ersten Zeit in Mashipurimo ist mir nichts im Gedächtnis haften geblieben. Die weite Reise hatten wir auf einem Frachtschiff zurückgelegt, unsere Route führte von Rotterdam über den Atlantischen Ozean nach Brasilien. Weiter ging es mit einem kleinen Flugzeug Richtung Amazonas. Mit Unmengen Proviant und Gepäck beladen, landeten wir schließlich mitten im Urwald. In einem Indianerdorf, in dem meine Eltern auf ihren vorherigen Reisen bereits für
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