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Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video
Autoren: Andreas Eschbach
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Stück Würfelzucker dazu. Die Diskussion, die sie bis jetzt geführt hatten, schien ihn nicht im mindesten zu irritieren.
    »Ein Kaffee, bitte sehr. Das macht eins zwanzig.«
    »Danke.«Der Junge strich sich das verschwitzte Haar aus dem Gesicht und zählte das Geld aus der Jeanstasche auf den Tresen. Stephen strich es dankend ein und tippte den Betrag in seine Registrierkasse.
    »Es spielt keine Rolle, verstehen Sie?«wandte er sich dann an Eisenhardt. Der Zuhörer schien ihn nicht sonderlich zu stören.»Ob er Jesus ist oder Buddha oder jemand, von dem wir nie etwas gehört haben — ich sehe in ihm, was das Leben sein kann. Daß es nicht darum geht, etwas zu erringen. Daß wir nicht auf dieser Welt sind, um andere zu überrunden und auszustechen und auf allen Rennbahnen zu siegen. Es macht keinen Unterschied, ob man siegt oder verliert, nicht wirklich, meine ich. Früher dachte ich, es gehe im Leben darum, einen Preis zu gewinnen. Sinnbildlich gesprochen. Mir war das nicht bewußt, aber im Rückblick weiß ich, daß ich das glaubte. Es war die Haltung, sich zu sagen,» wenn ich erst… «. Wenn ich erst eine Million Dollar besitze, dann. Wenn ich erst berühmt bin, dann. Immer dann, dann, dann. Ich glaubte, wenn ich das richtige Rennen gewonnen hätte, dann würde sich mein Leben verändern in etwas anderes als das, was es war — in das richtige Leben. Dann würde das richtige Leben beginnen. Aber so viele Rennen ich auch gewann, ich kriegte nie den Preis. Das» dann «passierte nie. Und deshalb rannte ich immer weiter, setzte die Ziele immer höher. Als ich den Wettlauf mit John Kaun begann, war ich in Wahrheit verzweifelt, weil ich schon so viel erreicht hatte und die große Veränderung ausgeblieben war.«Er sah ihn an.»Kennen Sie das auch? Ich stelle mir vor, daß es das sein könnte, was einen Schriftsteller antreibt — der Glaube, wenn man erst sein Meisterwerk geschrieben hat, wird alles anders.«
    »Nein«, knurrte Eisenhardt.»Ich schreibe, weil es mir Spaß macht.«
    Er schien das nicht zu hören.»Als ich das Video sah, begriff ich, daß das hier schon das richtige Lehen ist. Daß es das schon die ganze Zeit war. Ich war nur unfähig, es wahrzunehmen, mich an dem zu erfreuen, was ich schon hatte. Das Leben, das wirkliche, richtige Leben, fand schon statt, und ich hatte es die ganze Zeit übersehen, weil ich so beschäftigt war. Aber ich mußte erst sehen, wie jemand wirklich imstande ist, den Moment auszukosten, mit allen Sinnen und aller Hingabe, ehe ich das begreifen konnte.«
    »Na ja«, machte Eisenhardt zurückhaltend.»Das ist ja eine alte Weisheit, wenn ich mich nicht irre.«
    Stephen nahm ein Geschirrtuch und warf es sich mit einem Seufzer schwungvoll über die Schulter.»Ich kann es nicht in Worte fassen. Sie könnten es wahrscheinlich, als Schriftsteller.«
    »Aber ich sehe nicht, was Sie sehen.«
    »Schade.«Er und Judith nickten einander zu, zwei Wissende, die den Unwissenden bedauerten.
    Diese Arroganz der Frommen hatte der Schriftsteller noch nie leiden können. Wenn nicht ein Zuhörer mit an der Theke gesessen hätte, hätte er… Er richtete sich auf, dehnte den verspannten Rücken und überlegte, ob er wirklich über Nacht bleiben sollte. Zweifellos hieß das, einen Abend eifriger Missionsarbeit über sich ergehen lassen zu müssen.
    »Stimmt was nicht mit dem Kaffee?«erkundigte sich Stephen bei dem jungen blonden Mann, der mit hängendem Kopf vor seiner Tasse saß und sie unentwegt umrührte.
    »Wie?«schreckte er hoch.»Nein, alles bestens. Kein Problem.«
    »Ich dachte, weil Sie ihn die ganze Zeit umrühren und nichts davon trinken.«
    »Nein, es ist nur… Es liegt nicht am Kaffee. Danke.«Ein schmerzlicher Ausdruck huschte über sein Gesicht. Wie um zu beweisen, daß mit dem Kaffee alles in Ordnung war, nahm er einen tiefen Schluck.
    Stephen blieb stehen, sah ihn einfach nur an und sagte nichts.
    »Meine Mom und mein Dad sind gestorben«, sagte der Junge schließlich, mit blinden Augen ins Leere starrend.»Bei einem Autounfall. Letztes Jahr. Und vor vier Wochen hat meine Freundin mit mir Schluß gemacht. Es, ähm… ist nicht leicht.«
    »Es tut mir leid, das zu hören.«
    »Ich habe, ähm, ein bißchen mitbekommen, wie Sie über den Sinn des Lebens und so diskutiert haben.«Er fuhr sich mit der Hand in die Haare, eine vorwitzige Strähne zurückschiebend, die ihm immer wieder ins Gesicht fiel.»Da ist mir alles wieder eingefallen.«
    »Mmh.«Stephen nahm sein Geschirrtuch von
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