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Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
Autoren: Monica McInerney
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den Tourbussen, die dort in einer langen Reihe standen. Ich rannte am äußeren Zaun entlang, bog nach rechts, sah wieder einen langen, einen hohen Zaun. Vor mir lag das Weiße Haus, wie ich es kannte. Mit seiner Fensterrundung, den Säulen, den Fontänen, der großzügigen Auffahrt.
    Hunderte standen vor dem Zaun und posierten für die Kamera. Tourgruppen, Familien, Paare, Einzelreisende, Besucher. Aidan entdeckte ich nicht. Hatte ich mich wieder geirrt? Hatten wir doch gesagt, auf der Rückseite?
    Ich durfte mir keinen Fehler mehr erlauben. Ich war völlig außer Atem, doch ich musste ihn anrufen. Nach dem ersten Klingeln ging er an sein Handy.
    »Aidan, ich bin’s. Ich habe mich vertan. Es tut mir leid. Ich war erst hinter dem Weißen Haus, jetzt bin ich vorn, aber ich sehe dich nicht.«
    »Dann dreh dich um, Ella«, sagte er.
    Das tat ich.
    Er stand keine fünf Meter von mir entfernt. In einem langen, dunklen Mantel, mit einem dunkelblauen Schal.
    Der Schal war ein Geschenk von mir.
    Er lächelte nicht.
    Ich ließ das Handy fallen. Ich ließ es fallen und rannte auf ihn zu. Ich rannte in seine offenen Arme.

Kapitel 49
    Auf ungefähr einem Viertel aller Fotos, die an diesem Nachmittag zwischen vier Uhr und halb fünf vor dem Weißen Haus entstanden sind, ist ein Paar zu sehen, das ein wenig abseits steht. Es hält sich eng umschlungen.
    Auf Videos könnte man sehen, wie das Paar miteinander redet. Wie beide gleichzeitig reden. Verstummen. Neu anfangen. Sich unterbrechen. Als ob es unendlich viel zu sagen, unendlich viel zu verstehen gäbe.
    Wenn jemand den Ton aufgezeichnet hätte, könnte man zunächst die Frau hören, groß, dunkles Haar. Sie würde sagen: »Es tut mir leid, Aidan, es tut mir so leid.« Und der Mann, dunkelhaarig, in einem dunklen Mantel, würde sagen: »Es ist okay, Ella, es ist okay. Es ist okay.«
    Wenn ihnen ein Filmteam gefolgt wäre, hätte es aufgenommen, wie das Paar Arm in Arm durch die Stadt ging. Nicht zu den Sehenswürdigkeiten. Nach Hause. Zu ihm.
    Sie legten die Mäntel ab. Er bot ihr Tee an, sie sagte, nein, danke, alles gut, und dann: »Es ist gar nichts gut.« Und er: »Bei mir auch nicht.«
    Und dann weinte er, in den Armen seiner Frau, eine lange Zeit. Und sie tröstete ihn, immer und immer wieder.
    Sie hielten sich aneinander fest, die Arme eng umschlungen. Sie küssten sich, langsam, jeder Kuss eine Heimkehr. Dann zogen sie sich langsam aus. Sie gingen in sein Schlafzimmer. Sie liebten sich langsam, zögernd, als ob sie sich neu kennenlernen müssten. Das mussten sie.
    Sie ging in jener Nacht nicht in ihr Hotel zurück. Sie stornierte die gesamte Buchung. Er rief sein Büro an, sprach mit seinem Freund und bekam den Rest der Woche frei. So lang er bräuchte.
    Sie verbrachten fast die ganze Woche in seinem Apartment, nahe beieinander. Sie sprachen und weinten, manchmal lachten sie sogar. Scherze von einst schlichen sich in ihre Gespräche ein, lustige Anekdoten über ihren Sohn, über die sie lächeln, ein oder zwei Mal sogar laut lachen mussten. Sie hatten, bevor das alles geschehen war, so oft miteinander gelacht. Sie merkten, dass sie auch jetzt noch miteinander lachen konnten.
    Den Gedenktag, der kam, begingen sie nicht. Den Gedenktag nach zwanzig Monaten des Verlustes und unendlichen Schmerzes. Sie hatten sein Gedenken jeden Tag begangen.
    Am Tag vor ihrem Rückflug rief sie bei der Fluggesellschaft an und verschob den Flug um eine Woche. Und noch einmal um eine weitere Woche. Sie blieb einen Monat, dann entschieden sie, gemeinsam nach London zu fahren, zu ihrem Onkel, seinem Freund. Sie blieben drei Tage, in ihrem alten Zimmer, in dem Haus, in dem sie sich begegnet waren.
    Ihre Halbschwester war nicht mehr in der Stadt. Sie war nach Australien zurückgekehrt. Ihr Stiefbruder war wieder in Boston, bei seiner Familie. Ella und Aidan planten, auch ihn bald zu besuchen.
    Und sie planten noch eine Reise, in der kommenden Woche, ins Warme, in die Sonne. Nach Spanien vielleicht. Oder nach Italien. Sie hatten die freie Wahl, bei Aidans Sprachtalent.
    Sie freuten sich.
    Sie freuten sich wieder auf so vieles. Gemeinsam.

Epilog
    Lieber Felix,
    ich weiß, ich hatte gesagt, dass ich Dir nicht mehr schreiben würde, aber morgen ist es zwei Jahre her, dass Du uns verlassen hast, und diesen Tag will ich irgendwie begehen. Außerdem hatte ich, wenn ich ehrlich bin, einfach Lust, Dir noch ein letztes Mal zu schreiben.
    Ich bin in Spanien. Mit Deiner Mum. Mit Ella. Ich habe mich,
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