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Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel
Autoren: Hermann Hesse
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Musik, weit über alles nur Künstlerische hinaus, eine Seelen- und völkerbeherrschende Gewalt
    zuschreiben, sie zu einem geheimen Regenten oder einem
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    Gesetzbuch der Menschen und ihrer Staaten machen. Vom ältesten China bis zu den Sagen der Griechen spielt der Gedanke von einem idealen, himmlischen Leben der Menschen unter der Hegemonie der Musik ihre Rolle. Mit diesem Kultus der Musik (»in ewigen Verwandlungen begrüßt uns des Gesangs geheime Macht hinieden« - Novalis) hängt denn auch das Glasperlenspiel aufs innigste zusammen.
    Wenn wir nun auch die Idee des Spieles als eine ewige und darum längst vor ihrer Verwirklichung schon immer vorhandene und sich regende erkenne n, so hat ihre Ver- wirklichung in der uns bekannten Form doch ihre bestimmte Geschichte, von deren wichtigsten Etappen wir kurz zu berichten versuchen wollen.
    Die geistige Bewegung, deren Früchte unter vielen anderen die Einrichtung des Ordens und das Glasperlenspiel sind, hat ihre Anfänge in einer Geschichtsperiode, welche seit den grundlegenden Untersuchungen des Literarhistorikers Plinius Ziegenhalß den von ihm geprägten Namen »Das
    feuilletonistische Zeitalter« trägt. Solche Namen sind hübsch, aber gefä hrlich, und verlocken stets dazu, irgendeinen Zustand des Menschenlebens in der Vergangenheit ungerecht zu betrachten, und so ist denn auch das »feuilletonistische«
    Zeitalter keineswegs etwa geistlos, ja nicht einmal arm an Geist gewesen. Aber es hat, so scheint es nach Ziegenhalß, mit seinem Geist wenig anzufangen gewußt, oder vielmehr, es hat dem Geist innerhalb der Ökonomie des Lebens und Staates nicht die ihm gemäße Stellung und Funktion anzuweisen gewußt.
    Offen gestanden, kennen wir jene Epoche sehr schlecht, obwohl sie der Boden ist, aus dem fast alles das gewachsen ist, was heute die Merkmale unsres geistigen Lebens ausmacht. Es war, nach Ziegenhalß, eine in besonderem Maße »bürgerliche«
    und einem weitgehenden Individualismus huldigende Epoche, und wenn wir, um ihre Atmosphäre anzudeuten, einige Züge nach Ziegenhalß' Darstellung anführen, so wissen wir wenigstens dies eine mit Gewißheit, daß diese Züge nicht
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    erfunden oder wesentlich übertrieben und verzeichnet sind, denn sie sind von dem großen Forsche r mit einer Unzahl von literarischen und anderen Dokumenten belegt. Wir schließen uns dem Gelehrten an, der bisher als einziger das
    »feuilletonistische«
    Zeitalter einer ernsthaften Untersuchung gewürdigt hat, und wollen dabei nicht vergessen, daß es leicht und töricht ist, über Irrtümer oder Unsitten ferner Zeiten die Nase zu rümpfen.
    Die Entwicklung des geistigen Lebens in Europa scheint vom Ausgang des Mittelalters an zwei große Tendenzen gehabt zu haben: die Befreiung des Denkens und Glaubens von jeglicher autoritativen Beeinflussung, also den Kampf des sich souverän und mündig fühlenden Verstandes gegen die Herrschaft der Römischen Kirche und - andrerseits - das heimliche, aber leidenschaftliche Suchen nach einer Legitimierung dieser seiner Freiheit, nach einer neuen, aus ihm selbst kommenden, ihm adäquaten Autorität.
    Verallgemeinernd kann man wohl sagen: im großen ganzen hat der Geist diesen oft wunderlich widerspruchsvollen Kampf um zwei einander im Prinzip widersprechende Ziele gewonnen.
    Ob der Gewinn die zahllosen Opfer aufwiege, ob unsre heutige Ordnung des geistigen Lebens vollkommen genug sei und lange genug dauern werde, um alle die Leiden, Krämpfe und
    Abnormitäten von den Ketzerprozessen und Scheiterhaufen bis zu den Schicksalen der vielen in Wahnsinn oder Selbstmord geendeten »Genies« als sinnvolles Opfer erscheinen zu lassen, ist uns nicht erlaubt zu fragen. Die Geschichte ist geschehen - ob sie gut war, ob sie besser unterblieben wäre, ob wir ihren »Sinn«
    anerkennen mögen, dies ist ohne Bedeutung.
    So geschahen denn auch jene Kämpfe um die »Freiheit« des Geistes und haben in eben jener späten, feuilletonistischen Epoche dazu geführt, daß in der Tat der Geist eine unerhörte und ihm selbst nicht mehr erträgliche Freiheit genoß, indem er die kirchliche Bevormundung vollkommen, die staatliche
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    teilweise überwunden, ein echtes, von ihm selbst formuliertes und respektiertes Gesetz, eine echte neue Autorität und Legitimität aber noch immer nicht gefunden hatte. Die Beispiele von Entwürdigung, Käuflichkeit, Selbstaufgabe des Geistes aus jener Zeit, die uns Ziegenhalß erzählt, sind zum Teil denn auch wirklich erstaunlich.
    Wir
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