Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
entwickelte sie, wandelte sie ab und stellte ihnen andre gegenüber. Dies war, was das Technische betrifft, zwar eine Spielerei, gefiel aber den Schülern, wurde nachgeahmt und Mode, auch in England, und eine Zeitlang wurde das
    Musikübungsspiel auf diese primitivanmutige Art betrieben.
    Und wie so oft, hat auch hier eine langdauernde und
    bedeutungsvolle Einrichtung ihren Namen von einer
    vergänglichen Nebensache empfangen.
    Das, was aus jenem Seminaristenspiel und aus Perrots perlenbehängten Drähten später geworden ist, trägt noch heute
    -26-
    den volkstümlich gewordenen Namen Glasperlenspiel.
    Kaum zwei, drei Jahrzehnte später scheint das Spiel unter den Musikstudenten an Beliebtheit eingebüßt zu haben, dafür aber von den Mathematikern übernommen worden zu sein, und lange Zeit blieb das ein kennzeichnender Zug in der Geschichte des Spieles, daß es stets von derjenigen Wissenschaft bevorzugt und benutzt und weitergebildet wurde, welche jeweils eine besondere Blüte oder Renaissance erlebte. Bei den
    Mathematikern wurde das Spiel zu einer hohen Beweglichkeit und Sublimierungsfähigkeit gebracht und gewann schon etwas wie ein Bewußtsein seiner selbst und seiner Möglichkeiten, und das ging parallel mit der allgemeinen Entwicklung des damaligen Kulturbewußtseins, das die große Krise überwunden hatte und sich, wie Plinius Ziegenhalß es ausdrückt, »mit bescheidenem Stolze in die Rolle fand, einer Spätkultur, einem Zustande anzugehören, welcher etwa dem der Spätantike, des hellenistischalexandrinischen Zeitalters entsprach«.
    So Ziegenhalß. Wir suchen nun unsern Abriß einer
    Geschichte des Glasperlenspieles zu Ende zu bringen und
    «zLlen fest: Von den musikalischen zu den mathematixhen Seminaren übergegangen (eine Wandlung, die sich in
    Frankreich und England eher noch rascher als in Deutschland vollzog), war das Spiel so weit entwickelt, daß es in besonderen Zeichen und Abbreviaturen mathematische Vorgänge
    auszudrücken vermochte; die Spieler bedienten einander, sie gegenseitig entwickelnd, mit diesen abstrakten Formeln, spielten einander Entwicklungsreihen und Möglichkeiten ihrer
    Wissenschaft vor. Dies mathematisch- astronomische
    Formelspiel erforderte eine große Aufmerksamkeit, Wachheit und Konzentration, unter den Mathematikern galt schon damals der Ruf eines guten Glasperlenspielers viel, er war
    gleichbedeutend mit dem eines sehr guten Mathematikers.
    Das Spiel wurde von beinahe allen Wissenschaften zeitweise übernommen und nachgeahmt, das heißt auf ihr Gebiet
    -27-
    angewendet, bezeugt ist dies für die Gebiete der klassischen Philologie und der Logik. Die analytische Betrachtung der Musikwerte hatte dazu geführt, daß man musikalische Abläufe in physikalischmathematische Formeln einfing. Wenig später begann die Philologie mit dieser Methode zu arbeiten und sprachliche Gebilde nach der Weise auszumessen, wie die Physik Naturvorgänge maß; es schloß die Untersuchung der bildenden Künste sich an, wo von der Architektur her die Beziehung zur Mathematik schon längst vorhanden war. Und nun entdeckte man zwischen den auf diesem Wege gewonnenen abstrakten Formeln immer neue Beziehungen, Analogien und Entsprechungen. Jede Wissenschaft, die sich des Spiels bemächtigte, schuf sich zu diesem Zweck eine Spielsprache von Formeln, Abbreviaturen und Kombinationsmöglichkeiten, überall unter der Elite der geistigen Jugend waren die Spiele mit den Formelfolgen und Formeldialogen beliebt. Das Spiel war nicht bloß Übung und nicht bloß Erholung, es war
    konzentriertes Selbstgefühl einer Geisteszucht, besonders die Mathematiker betrieben es mit einer zugleich asketischen und sportsmännischen Virtuosität und formalen Strenge und fanden darin einen Genuß, der ihnen den damals schon konsequent durchgeführten Verzicht der Geistigen auf weltliche Genüsse und Bestrebungen erleichtern half. An der völligen
    Oberwindung des Feuilletons und an jener neu erwachten Freude an den exaktesten Übungen des Geistes, der wir die Entstehung einer neuen Geisteszucht von mönchischer Strenge verdanken, hatte das Glasperlenspiel großen Anteil.
    Die Welt hatte sich verändert. Man könnte das Geistesleben der Feuilletonepoche mit einer entarteten Pflanze vergleichen, die sich in hypertrophischen Wucherungen vergeudet, und die nachfolgenden Korrekturen mit einem Zurückschneiden der Pflanze bis auf die Wurzeln.
    Die jungen Menschen, welche jetzt sich geistigen Studien widmen wollten, verstanden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher