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Das Alabastergrab (Krimi-Edition)

Das Alabastergrab (Krimi-Edition)

Titel: Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
Autoren: Helmut Vorndran
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seit Jahren ehern bestehende Ordnung hatte nun einen Fehler bekommen. Beinahe unmerklich und dennoch im sensiblen Mittelohr von Fritz Lohneis durchaus deutlich fand hier gerade eine Rebellion statt. Den Kopf wie eine Radaranlage schwenkend bewegte er sich langsam so lange in die Tiefen seiner Maschinerie hinab, bis sich in seinem Ortungssystem ein feines, schleifendes Geräusch herauskristallisierte. Aus der Kakophonie von Turbinengeräuschen versuchte Lohneis nun zielgerichtet den Ursprung der akustischen Anomalie auszumachen.
    Und dann sah er es. Die Antriebseinheit des rechten Schützentores. Ganz langsam, fast unheimlich bewegte sie sich. Aber das war doch unmöglich! Die Schützensteuerung konnte nur er allein über die Hebel und Knöpfe oben im Haus bedienen. Konnte es sein, dass ein dreifach gesichertes System von alleine loslief?
    Über sich hörte er neues Ungemach. Der Hund schlug an. Was zum Teufel war da los? Lohneis hastete die Leitern wieder nach oben und sprang mit einem großen Schritt nach draußen. Links war der Steg über den Main in den Schatten des Banzberges getaucht. Obwohl keine Menschenseele zu sehen war, zerrte Murat, der Berner Sennenhund, wütend an seiner Kette und bellte, als würde er eine Herde Gemsen verfolgen wollen.
    Dann hörte Lohneis das Rauschen. Die Schützen des rechten Wehrtores hatten in ihrer Abwärtsbewegung die Wasserlinie des Überlaufs erreicht und senkten sich noch weiter ab. Der Main begann sich in sein Bett zu ergießen, und die Wassermassen verwirbelten sich dampfend am unteren Ende des betonierten Auslaufs.
    Mit wenigen Schritten stand Lohneis wieder vor seinen Anzeigen. Die Schützen fuhren unaufhaltsam nach unten. War es ein technischer Defekt, oder lag eine ernst zu nehmende Fehlschaltung in den Tiefen der elektronischen Bauteile vor? Er überlegte nur kurz, dann zertrümmerte er entschlossen den ferrariroten Schutzdeckel des Notschalters und legte den schmiedeeisernen Nothebel mit der großen, fetten Aufschrift » NOTAUS « um. Zum ersten Mal in seinem Leben.
    Doch nichts passierte. Die Ketten ächzten zwar hörbar unter dem gewaltigen Wasserdruck, doch sie verrichteten unverdrossen und konsequent ihre ihnen zugedachte Arbeit weiter. Das Rauschen mutierte langsam in ein tosendes Brüllen. Fritz Lohneis war verzweifelt. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Siebenundzwanzig Jahre lang passierte hier überhaupt nichts, kein Blitzschlag, kein Kamikazeflieger, nicht mal ein Tourist, der die Treppe hinuntergestürzt wäre, und nun das. Darauf war er 1980 nicht vorbereitet worden, als er seinen Dienst angetreten hatte.
    Dann fiel sein Blick auf die Axt an der Wand. Eigentlich war sie dazu gedacht, Schwemmgut, das sich im Wehr verhakt hatte, zu zerteilen und zu entfernen. Sie war schön und schwer, ihr blanker Eschenholzstiel glänzte. Das letzte Mal hatte er sie vor einundzwanzig Jahren benutzt, als die alte Weide vom gegenüberliegenden Ufer auf ein Auto gefallen war. Obwohl er den Baum in kürzester Zeit zerteilt hatte, war dem Landtagsabgeordneten der CSU und seiner Gespielin damit freilich nur wenig geholfen gewesen. Die beiden hatten sich einfach entschieden, zur falschen Zeit unter dem falschen Baum einem Techtelmechtel nachzugehen, das kein gutes Ende nehmen sollte. Um die Weide hatte es ihm damals wirklich leidgetan.
    Jetzt nahm er mit einer flüssigen Handbewegung die Axt von der Wand und stürmte zum grauen Verteilerkasten am Ende des Steges. Hastig fingerte er den Hauptschlüssel aus seinem umfangreichen Schlüsselbund heraus und öffnete zum ersten Mal in seinem Arbeitsleben den Verteilerkasten des Überlandwerks. Schon die zweite Premiere an diesem Abend! Zwar konnte er vier armdicke Kabelstränge ausmachen, die sich aus dem Boden des Kastens nach oben schlängelten, um dann in großen, keramischen Verbindungseinheiten zu verschwinden, zuordnen konnte er sie jedoch nicht. Es gab weder typische Farben noch aufschlussreiche Beschriftung – nichts. Lohneis war mit seinem Handwerkerlatein am Ende.
    Hinter ihm verschwand der Wehrsteg bereits in der aufgewirbelten Gischt. Es half alles nichts. Er hob die Axt hoch über seinen Kopf, und mit einem »Leckt mich doch alle am Arsch!« rammte er das Lieblingsgerät aller Holzfäller mitten in die undefinierte Kabelansammlung hinein. Ein blauer Blitz zuckte, ein Funkenregen sprühte, dann sprang ihm die Axt aus den Händen.
    Schlagartig wurde es ruhiger im Turbinenhaus. Der gleichmäßig hohe Ton der Generatoren
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