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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5
Autoren: Clive Barker
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werden?« fragte sie Helen.
    »Das weiß ich nicht«, sagte Helen und wiederholte: »Ich bin von der Universität.«
    »Ach«, antwortete die Frau, als hätte sie eben eine neue Information erhalten, »dann haben Sie nichts mit der
    Stadtverwaltung zu tun?«
    »Nein.«
    »‘n paar sind obszön, nicht? Richtig schweinisch. Was die so zeichnen - ‘n paar von den Sachen machen mich echt fertig.«
    Helen nickte und warf dabei ein Auge auf den Jungen im Kinderwagen. Kerry hatte beschlossen, seine Süßigkeiten zur sicheren Verwahrung ins Ohr zu stecken. »Laß das!« sagte seine Mutter und beugte sich hinüber, um dem Kind eins auf die Finger zu geben. Auf den läppischen Klaps hin begann der Kleine loszuplärren. Helen ergriff die Gelegenheit, um hinter ihre Kamera zurückzukehren. Aber die Frau wollte sich noch weiter unterhalten. »Und das Zeugs findet sich nicht nur auf den Außenmauern«, bemerkte sie.
    »Wie bitte?« sagte Helen.
    »Sie brechen in die Wohnungen ein, sobald sie leer stehen.
    Die Stadtverwaltung hat versucht, sie zu verrammeln, aber das nutzt gar nichts. Sie brechen so oder so ein. Benutzen sie als Toiletten und schreiben noch mehr Schweinkram an die Wände. Sie zünden auch Feuer an. Dann kann niemand Neuer mehr einziehen.« Die Schilderung weckte Helens Neugier. Ob die Graffiti auf den Innenwänden sich wohl wesentlich von den öffentlichen Präsentationen unterschieden? Das war sicher eine Nachforschung wert. »Sind Ihnen hier in der Nähe solche Plätze bekannt?«
    »Leerstehende Wohnungen meinen Sie?« »Mit Graffiti.«
    »Gleich bei uns gibt’s ein oder zwei«, sagte die Frau bereitwillig. »Ich bin im Butts-Block.«
    »Könnten Sie mir die vielleicht zeigen?« fragte Helen.
    Die Frau zuckte mit den Achseln.
    »Übrigens, ich heiße Helen Buchanan.«
    »Anne-Marie«, antwortete die Mutter.
    »Ich war’ Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich zu einer dieser leerstehenden Wohnungen bringen könnten.«
    Anne-Marie war über Helens Begeisterung verblüfft, machte auch keinen Versuch, es zu verhehlen, aber sie zuckte erneut mit den Achseln und sagte: »Da gibt’s nicht viel zu sehen. Nur noch mehr von dem gleichen Zeugs.«
    Helen packte ihre Fotoausrüstung zusammen, und die beiden Frauen gingen nebeneinander durch die sich kreuzenden Passagen zwischen einem Häuserviereck und dem nächsten.
    Obwohl die Anlage niedrig gehalten war, jeder Wohnblock nur fünf Stockwerke hoch, war die Wirkung in jedem Innenhof gräßlich klaustrophobisch. Die Laufgänge und Treppenhäuser waren der Traum jedes Diebes, voller toter Winkel und schlecht beleuchteter Tunnels. Die Müllschluckerschächte, durch die man aus den oberen Etagen Abfalltüten direkt in den Kellercontainer werfen konnte, waren längst versiegelt worden, weil sie sich als ausgesprochene Feuerfallen erwiesen hatten.
    Jetzt stapelten sich in den Gängen meterhoch Plastiktüten voller Abfall, viele von streunenden Hunden aufgerissen, ihr Inhalt über den Boden verstreut. Der Geruch war, selbst bei kalter Witterung, unangenehm. Im Hochsommer mußte er überwältigend sein.
    »Da drüben auf der anderen Seite wohn’ ich«, sagte Anne-
    Marie und deutete über den viereckigen Innenhof. »Das mit der gelben Tür.« Dann wies sie mit dem Finger am gegenüberliegenden Häuserblock entlang. »Fünf oder sechs Maisonettes vor dem anderen Ende«, sagte sie. »Zwei davon sind inzwischen geräumt, ‘n paar Wochen her jetzt. Die eine Familie is’ in den Ruskin-Block umgezogen, die andere is’ mitten in der Nacht verduftet.«
    Damit kehrte sie Helen den Rücken und schob Kerry, der
    dazu übergegangen war, seitlich vom Kinderwagen eine Spuckespur zu ziehen, um den Hof herum.
    »Danke«, rief Helen ihr nach. Anne-Marie blickte kurz über die Schulter, antwortete aber nicht. Mit angestachelter Neugier ging Helen an den Erdgeschoßmaisonettes entlang, von denen viele, obgleich bewohnt, eher den gegenteiligen Eindruck erweckten. Die Vorhänge waren dicht zugezogen; keine Milchflaschen standen vor der Haustür, kein liegengelassenes Kinderspielzeug verwies auf seine Benutzer. Tatsächlich keinerlei Leben hier. Weitere Graffiti hingegen waren vorhanden, anstößig auf die Türen bewohnter Häuser gesprayt. Sie besah sich die Schmierereien nur flüchtig, teils weil sie befürchtete, eine der Türen könne sich öffnen, während sie gerade die dar-aufgesprühte deftige Schweinerei inspizierte, aber mehr noch weil sie darauf brannte zu sehen, was für Offenbarungen die
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