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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition)
Autoren: Katja Lange-Müller
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schön wie du, aber er hatte Charme und betrachtete den ganzen Trubel, in den er da unverhofft hineingeraten war, mit aufmerksam-spöttischer Distanz. Ich mochte seine sanfte Stimme, seine Zurückhaltung, seine Ehrlichkeit. Urs machte mir nichts vor, und er machte sich nicht viel aus Frauen. Er habe Frauen gern, sagte er, und wenn er eine richtig liebgewinne, könne er sogar mal mit ihr »ins Bett gehen«. Urs war drei Jahre älter als ich und von Beruf Gärtner. Seine, wie er sagte, »schon sehr verbrauchten« Eltern hatten in Allschwil, am südwestlichen Rand von Basel, ein paar Hektar Land; Obstplantage, Gewächshäuser, Pferdekoppel. Sie verkauften, was sie ernteten, Äpfel, Birnen, Pflaumen, an die nahen Geschäfte und Schnapsbrennereien und handelten mit diversen exotischen Pflanzen, die sie unter den Glasdächern kultivierten. Urs meinte, ich solle ihn heiraten, damit seine Eltern sich endlich »einigermaßen froh zur Ruhe setzen und ihrem einzigen, nun glücklich von der Homosexualität geheilten Sohn den Betrieb übereignen könnten«. Unser Deal war klar – und vorteilhaft für beide: Er wollte das Allschwiler Kleinunternehmen, eine »sympathische Gefährtin, die etwas Ahnung von der Materie« hatte, und eine Arbeitskraft, für die er, weil sie seine Ehefrau war, keine Lohnsteuer zahlen mußte. Und ich wollte mich nicht von meiner Ostvergangenheit einholen lassen, sondern viel lieber einen Schweizer Paß, und sicher, Harry, wollte ich auch mehr Distanz zu dir, wenngleich ich das nicht einmal mir selbst eingestanden hätte.
    Ich habe es, als ich dich kurz vor meiner Abreise noch einmal besuchte, nicht fertiggebracht, dir zu sagen, daß ich Berlin verlassen, weggehen würde, in ein anderes Land. Ich sagte, ich brauchte Urlaub und führe über den Jahreswechsel für drei, vier Wochen in die Schweiz. Ich glaubte wirklich, daß ich wenigstens alle zwei Monate nach Berlin käme; deshalb hatte ich meine Wohnung nicht auf-, sondern weitergegeben an jene Freundin, der ich sie, während wir beide im Wendland gewesen waren, schon einmal untervermietet hatte.
    Du fühltest dich an diesem Tag, es war kurz vor Weihnachten, und ich hatte dir einen großen, nicht sehr teddyähnlichen Plüschbären mitgebracht, ziemlich mies.
    »Denk nicht, Bärchen, daß der Dicke hier dich ersetzen könnte. Und nun hab eine schöne Zeit, halt dich grade und vergiß den Haary nicht«, sagtest du.
    Wir umarmten uns, und ich ging. Bei den Pflegern, Wolfgang war leider nicht da, hinterließ ich meine Schweizer Adresse und meine Telefonnummer sowie reichlich Kaffee, Konfekt, ein Fläschchen Kognak und – für den Fall, daß du etwas benötigen würdest – zweihundert Mark in bar, die ich von meinem, nicht von deinem Konto abgehoben hatte. Ich bat sie, mich unbedingt anzurufen, wenn es dir schlechter ginge oder überraschend irgendein Problem auftauche. Sie versprachen, mit mir »in Kontakt« zu bleiben, und ich war frei, frei für die Schweiz, doch nicht von dir; aber das wußte ich damals noch nicht.

[Menü]
XX
    Leibhaftig, in Fleisch und Blut, wie meine Oma gesagt hätte, sah ich dich zum letzten Mal am dreißigsten Januar 1990. Ich war nach Berlin gekommen, weil ich für die bevorstehende Hochzeit mit Urs einige Papiere brauchte, ein Ehefähigkeitszeugnis, eine beglaubigte Kopie meiner Geburtsurkunde, das Dokument über meine »Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR«; und natürlich wollte ich dich auch besuchen.
    Ich stieg U-Bahnhof Kochstraße aus, ging zu Fuß, sah mich um. Der Potsdamer Platz war noch nicht zur Kraterlandschaft geworden, die gespenstische Stille, die dort geherrscht hatte, noch nicht dem Baulärm gewichen; doch sie würde auch nicht zurückkehren, sowenig wie die Vögel und das Unkraut. Ich fragte mich, wer von uns zweien den sich ankündigenden enormen Veränderungen besser entzogen wäre, ich in Allschwil oder du hier, obwohl du ja mitten in der Keimzelle des Künftigen lagst. Ich war weggegangen, weil ich nicht zu Hause sein wollte, wenn sich beides auflöste, mein Ost- und unser Westberlin, hatte befürchtet, daß ich mich ebenso auflösen und womöglich verschwinden würde; da war ich lieber woandershin verschwunden. Fremd zu sein in der Schweiz fand ich normaler, als fremd zu werden in zwei Städten, die nicht bleiben konnten, was sie waren, und schon gar nicht wieder zu jener einen Stadt werden würden, die Berlin einst gewesen war, sondern etwas Neues, etwas, das noch keiner kannte und das mir, wenn
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