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Blink! - die Macht des Moments

Titel: Blink! - die Macht des Moments
Autoren: Malcolm Gladwell
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Einflüsse unser Unbewusstes auf eine falsche Fährte geführt wird. Es klingt
     so, als wäre es ein Kinderspiel, ein Urteil über Musik zu fällen. Aber das ist es nicht – ebenso wenig wie Cola zu testen,
     Stühle zu bewerten oder Marmeladen zu benoten. Ohne Wandschirm wäre Abbie Conant durchgefallen, noch ehe sie den ersten Ton
     spielen konnte. |245| Mit dem Wandschirm war sie mit einem Mal gut genug für die Münchner Philharmoniker.
    Was geschah, als die Orchester mit ihrem eigenen Vorurteil konfrontiert wurden? Sie lösten das Problem – und das ist die zweite
     wichtige Lektion von
Blink!.
Allzu oft resignieren wir vor der Macht des Augenblicks. Wir glauben, wir hätten keinen Einfluss auf die Entscheidungen, die
     aus unserem Unbewussten an die Oberfläche kommen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wenn wir das Umfeld kontrollieren, in dem
     unser schnelles Denken stattfindet, können wir auch dieses kontrollieren.
    »Wenn ich ein Kunstwerk begutachten soll, dann bitte ich die Händler, ein schwarzes Tuch darüber zu hängen und es erst herunterzuziehen,
     wenn ich davorstehe, damit ich mich total auf diesen einen Gegenstand konzentrieren kann«, erzählt Thomas Hoving. »Während
     meiner Zeit am Metropolitan Museum habe ich meine Sekretärin oder einen anderen Kurator stets gebeten, ein neues Objekt, das
     wir vor einer möglichen Anschaffung begutachten sollten, irgendwo hinzustellen, wo ich in einem Überraschungsmoment darüber
     stolpern würde: in der Garderobe zum Beispiel. Ich mache die Tür auf, und da steht es dann plötzlich. Und entweder habe ich
     dann spontan ein gutes Gefühl, oder ich entdecke etwas, was ich vorher nicht gesehen habe.« Hoving maß seinen Spontanurteilen
     so viel Bedeutung bei, dass er alles tat, um seine ersten Eindrücke so verlässlich wie möglich zu machen. Er sah das Unbewusste
     nicht als magische Kraft, sondern als etwas, das er schützen, kontrollieren und weiterentwickeln konnte. Als er den ersten
     Blick auf den Kouros warf, war er vorbereitet.
    Die Tatsache, dass heute mehr und mehr Frauen in Sinfonieorchestern spielen, ist keine Kleinigkeit. Hier eröffnen sich neue
     Möglichkeiten für eine Gruppe, der diese bislang verwehrt waren. Seit der erste Eindruck bei Aufnahmeverfahren so kontrolliert
     wird, dass er auf das musikalische Können gerichtet ist, stellen Orchester auch insgesamt bessere Musiker ein, und das wiederum
     bedeutet, dass uns in den Konzertsälen bessere Musik geboten |246| wird. Und wie hat sich die Qualität der Musik verbessert? Nicht durch eine völlige Umorganisation der gesamten Welt der klassischen
     Musik, nicht durch neue Konzerthäuser oder millionenschwere Investitionen, sondern allein, indem wir einem winzigen Detail
     Aufmerksamkeit schenken, nämlich den ersten beiden Sekunden eines Probespiels.
    Als Julie Landsman für die Stelle der Solohornistin des Orchesters der Metropolitan Opera vorspielte, waren die Wandschirme
     gerade eingeführt worden. Damals hatte das Orchester nur männliche Blechbläser, weil ja jeder »wusste«, dass eine Frau nicht
     in der Lage war, das Horn mit derselben Meisterschaft zu spielen wie ein Mann. Aber Landsman spielte vor, und sie spielte
     gut. »In der letzten Runde habe ich gewusst, dass ich gewonnen hatte, bevor sie es mir gesagt haben«, erzählt sie. »Das hat
     daran gelegen, wie ich das letzte Stück gespielt habe. Ich habe das letzte hohe C extrem lange gehalten, nur um keinen Zweifel
     aufkommen zu lassen. Sie haben angefangen zu lachen, weil sie merkten, dass ich ihnen etwas demonstrieren wollte.« Als sie
     schließlich zur Siegerin erklärt wurde und hinter dem Schirm hervortrat, ging ein Raunen durch den Raum. Der Grund war nicht
     nur, dass sie eine Frau war und Hornistinnen so selten sind, wie es bei Conant der Fall war. Es war nicht dieses selbstbewusste,
     lang ausgehaltene hohe C, ein Machoklang, den man nur von Männern erwartet hätte. Nein, der Grund war, dass die Mitglieder
     der Jury sie bereits kannten. Landsman war zuvor gelegentlich als Ersatz eingesprungen. Aber erst, als sie ihr ganz objektiv
     zugehört hatten, hatten sie festgestellt, wie gut sie wirklich war. Als der Schirm die Voraussetzungen für einen perfekten
     Blink-Moment geschaffen hatte, geschah ein kleines Wunder. Es war die Art von Wunder, die immer dann möglich ist, wenn wir
     die ersten beiden Sekunden wirklich ernst nehmen: Die Jury hörte Landsman so, wie sie wirklich
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