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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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gehenden Betrugsdelikten.
    1995 war der Silvio Berlusconis Forza Italia angehörende Anwalt und Politiker verhaftet worden, weil er und sein Bruder anscheinend einem der mächtigsten Mafiabosse der Cosa Nostra, dem brutalen Killer Leoluca Bagarella, Unterschlupf in ihrem Haus gewährt hatten. Aufgrund der Anklage war er gezwungen, seinen Posten als Präsident der Provinz Palermo aufzugeben. Doch nach seinem Freispruch im April 1998 wurde Francesco Musotto sofort wiedergewählt. Er hatte vor Gericht ausgesagt, dass er zwar Mafiosi unter den Klienten seiner Kanzlei, jedoch niemals Stimmen für die Cosa Nostra gesammelt habe und den gesuchten Mafiaboss, der in seiner Villa gewesen sein soll, überhaupt nicht kenne (»Io non conosco questo signore.«). Eigentlich sucht sich die Cosa Nostra ihre Anwälte nicht nach dem Zufallsprinzip aus. Rechtskräftig verurteilt wurde hingegen sein Bruder wegen Unterstützung der Cosa Nostra. »In keinem anderen Land hätte wohl eine politische Partei einen Mann, dessen Familie einen der Köpfe des organisierten Verbrechens vor der Polizei versteckt hatte, zum Vorsitzenden ihrer Parteiorganisation in der Hauptstadt gemacht.« 7 Im Europäischen Parlament hingegen wird er von der christdemokratischen Europäischen Volkspartei mit Samthandschuhen angefasst.
    Oder ein anderes Beispiel. Es geht um Salvatore »Totò« Cuffaro, den im Jahr 2001 gewählten sizilianischen Regionalpräsidenten. Seit langem wurden ihm nicht nur in der italienischen Presse, sondern auch von Staatsanwälten in Palermo Kontakte zu den Ehrenwerten nachgesagt, und dass er seine Hände bei umstrittenen Vergaben von Bauaufträgen in traditionellen Hochburgen der Mafia im Spiel habe. Im November 2007 erhob die Staatsanwaltschaft Palermo gegen ihn Anklage wegen Begünstigung der Mafia. Zwei Monate später fällte das Gericht das Urteil: fünf Jahre Haft und ein fünfjähriger Ausschluss von allen öffentlichen Ämtern. Es sei erwiesen, stellte das Gericht in Palermo fest, dass er Komplizen der Mafia unterstützt hatte. Gegen den Richterspruch ist er in die Berufung gegangen. Das Urteil aus erster Instanz jedoch förderte seine Karriere. Er wurde Spitzenkandidat der sizilianischen Christdemokraten (UDC) bei den Parlaments- und Regionalwahlen Mitte April 2008 – und in den italienischen Senat gewählt. Am 22. Januar 2011 wurde das Urteil gegen ihn in der dritten Instanz bestätigt (während er mehrere Stunden betend in Roms Minervakirche auf höheren Beistand hoffte), und er musste wenig später seine Gefängnisstrafe antreten.
    Nach dem zivilen Aufbegehren in den neunziger Jahren scheint sich die Bevölkerung Süditaliens derzeit mit dem bestehenden Status quo abzufinden bzw. verdrängt diesen aus ihrem Bewusstsein. Nach wie vor, so die Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden, gelingt es nicht, den Kampf gegen die Cosa Nostra von einer juristischen Basis auf eine ideelle, breite Teile der Bevölkerung erfassende Ebene zu heben. Am Kampf für eine Kultur der Legalität beteiligten sich immer noch die wenigsten Sizilianer und Kalabresen. Gerade aus diesem Unvermögen schöpft die Cosa Nostra ihre Macht. Sie ist Teil der alltäglichen Kultur geworden und nur auf diesem Weg erfassbar.
     
    Und wir in Deutschland? Wahrscheinlich herrscht völlige Ahnungslosigkeit. Da bietet die FDP-Bundesgeschäftsstelle den Parteifreunden eine Plattform »Liberale Wirte« an. Es soll ein Instrument sein, »um die FDP noch stärker zu einem Netzwerk mit Nutzwert auszubauen. Bei einem guten Essen und einem guten Gläschen Wein lassen sich auch zwischen dem liberalen Anliegen und den Bürgern Brücken schlagen«, ist auf der Webseite der Liberalen Wirte zu lesen. 8 Die Ehre, den »liberalen Wirten« im Saarland anzugehören und auf der FDP-Webseite präsent zu sein, hat eine Familie der Cosa Nostra. Sie lebt seit über zwanzig Jahren im Saarland. Bei dem geschätzten Restaurantbesitzer tafeln gerne FDP-Parteifreunde. In Stuttgart wiederum war, bis zur Regierungsablösung durch die Grünen/SPD, das Restaurant eines bekannten Mitglieds der kalabresischen ’Ndrangheta Anlaufstation für hohe Mitglieder der Staatskanzlei.
    Trotz mehr oder weniger erfolgreicher Versuche der regionalen Einflussnahme auf deutsche Politiker durch einzelne Mafiaclans – Deutschland ist sicher nicht Italien. Was wenig daran ändert, dass in Deutschland die Existenz der italienischen Mafia und ihre Versuche, sich in die deutsche und europäische Wirtschaft und Politik
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